Hans Fässler

Reisender in Sachen Sklavenhandel

Am Anfang stand eine Kabarettidee fürs St. Galler Kantonsjubiläum.
Es wurde mehr daraus: Historiker Hans Fässler ist heute anerkannter Sklavereiexperte.

von Richard Clavadetscher

Auch wichtige Jubiläen haben es so an sich, dass sie, einmal gefeiert, in der Regel schnell vergessen sind. Mit dem Jubiläum zum 200jährigen Bestehen des Kantons St. Gallen im Jahr 2003 ist es nicht anders: Wer weiss schon noch, was damals alles produziert, präsentiert und aufgeführt worden ist!?


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Etwas Besonderes gelungen

Gerade deshalb ist das seinerzeitige Jubiläumsprojekt «Louverture stirbt 1803» des St. Galler Kabarettisten, Historikers und Mittelschullehrers Hans Fässler etwas Besonderes: Es ist nachhaltig – und dies gleich in mehrfacher Hinsicht!

• Dass etwa die St. Galler Regierung nun Nutzungsvorschriften für den Klosterbezirk erlassen will, ist eigentlich eine Spätfolge des von Fässler mit Inbrunst inszenierten «Flaggenstreits» (anzeiger 46/2000), mit dem es ihm schon weit im Vorfeld gelang, das Publikum auf sein Jubiläumskabarett und die «revolutionären Wurzeln» des Kantons aufmerksam zu machen.
• Dass es in der Schweiz seit einiger Zeit eine Sklavereidebatte gibt, in der über die Verstrickun gen hiesiger Persönlichkeiten aus vergangener Zeit in den Sklavenhandel diskutiert wird, geht massgeblich auf Fässler zurück.
• Die Kontroverse um die Umbenennung des Agassizhorns, 3953 Meter hoch und an der Grenze Wallis/Bern gelegen, ist ebenfalls von Fässler initiiert – auch sie eine Folge des Jubiläums projekts.
• Dass Fässler schliesslich inzwischen Einladungen als Referent und Diskussionsteilnehmer von Buchhandlungen, Universitäten und selbst aus Afrika bekommt, geht in seinem Ursprung ebenfalls auf das Jubiläum 200 Jahre Kanton St. Gallen zurück.
Der Reihe nach!

Sklavenhandel entdeckt

Im Vorfeld des Kantonsjubiläums 2003 hat sich unter vielen anderen auch Hans Fässler für einen Förderbeitrag beworben. Im Rahmen des Jubiläums wollte er ein Kabarettprogramm aufführen. «Geplant war eigentlich, Entstehung, Geschichte und den aktuellen Zustand des Kantons in satirischer Form zu behandeln», erinnert er sich.

Es kam anders: Im Rahmen seiner Recherchen fürs Kabarett stiess Fässler auf die Geschichte des exakt 1803 unweit der Schweizer Grenze in französi­scher Kerkerhaft verstorbenen haitianischen Freiheitskämpfers Toussaint Louverture. In seinem Kabarett verknüpfte er dann die beiden Themen.

Weil aber die Geschichte von Toussaint Louverture auch und vor allem eine Geschichte rund um die Sklaverei ist, landete Fässler zwangsläufig bei diesem Thema. Mehr noch: «Ich entdeckte, dass auch die Schweiz und insbesondere die Ostschweiz in den Sklavenhandel verstrickt waren.»
Material für ein Buch

Aus Materialien, die Fässler für das Kabarett sammelte, und weiteren Recherchen entstand 2005 dann das Buch «Reise in Schwarz-Weiss – Schweizer Ortstermine in Sachen Sklaverei» (erschienen im Rotpunktverlag, inzwischen in zweiter Auflage). Ausgehend von Schweizer Ortschaften wie unter anderem Rorschach, Trogen, St. Gallen, Bürglen, weist der Autor darin die Verstrickungen dort lebender und damals hoch angesehener Persönlichkeiten in Geschäfte mit dem Sklavenhandel nach. Er tut dies auf kurzweilige Art, aber gleichwohl historisch exakt.

Von Fässler initiierte politische Vorstösse in Städten, Kantonen sowie im Nationalrat und bezüglich des Lancierungszeitpunkts auch etwas Glück (andere veröffentlichten damals ebenfalls zum Thema) machten das Buch bald über die Historikerzunft hinaus bekannt, so dass in der Schweiz nach der Apartheid-Debatte und dem Streit über die nachrichtenlosen jüdischen Konten nun auch noch eine Sklavereidebat- te anhob. (Fässlers Homepage www.louverture.ch gibt einen Eindruck davon.) Dass das Buch inzwischen auch auf Französisch erschienen ist, ist vor diesem Hintergrund zwangsläufig.

Bis nach Afrika

Mit der Übersetzung ins Französische aber erschloss sich dem Buch die ganze frankophone Welt – inklusive jener Weltgegend, in der ein Teil der Opfer der Sklaverei ursprünglich wohnten: Französisch-Afrika. Und so kommt es, dass Fässler gegenwärtig nicht nur in der Romandie und in Frank reich liest, referiert und diskutiert – zum Beispiel wieder am 10. Mai in Bordeaux aus Anlass des nationalen französischen Gedenktags zur Abschaffung der Sklaverei. Anfragen kommen inzwischen auch aus Afrika. So war Fässler Gast der Universität Cheikh Anta Diop in Senegals Hauptstadt Dakar. Weitere Termine werden folgen.

In der Romandie hat Fässler das Thema Sklaverei und sein Buch übrigens auf für ihn typische Weise in die Diskussion gebracht: Er hat die Kampagne «Démonter Louis Agassiz» gestartet. Louis Agassiz (1807–1873) war ein bedeutender Schweizer Glaziologe, aber nicht nur: Fässler weist in seinem Buch nach, dass der Forscher auch ein Rassist und Wegbereiter der Apartheid war. Das 3953 Meter hohe, nach ihm benannte Agassizhorn an der Grenze zwischen dem Kanton Bern und dem Wallis müsse deshalb umbenannt werden, provoziert Fässler. Die Kantone Bern, Wallis, Fribourg und Neuenburg (die akademi sche Heimat von Agassiz) sowie die direkt betroffenen Gemeinden sind «not amused», seit Fässlers Forderung dort öffentlich diskutiert wird und auch von Politikern (und Grindelwaldner Feriengästen) aufgenommen worden ist.
Französisch aufgefrischt

Abseits dieser Aktionen ist Historiker Fässler heute ein in der Fachwelt respektierter Experte in Sachen Sklaverei, international vernetzt mit anderen Historikern, die am Thema arbeiten. «Ich möch te in den nächsten Jahren weiter am Thema arbeiten», sagt er. Vor allem die Diskussion über Wiedergutmachung der Sklaverei ist ihm ein Anliegen.

Ausgehend vom Fall Toussaint Louverture, hat Fässlers Spezialisierung auf die Sklaverei neben internationalem Renommee noch einen angenehmen Nebeneffekt für den Historiker: Er, der neben Geschichte auch noch Anglistik studierte, ist inzwischen ziemlich dreisprachig: Die regelmässigen Reisen in den französischen Sprachraum haben sein fast vergessenes Schulfranzösisch wieder auf Vordermann gebracht. «Für einen Fachvortrag auf Französisch genügen mir unterdessen Stichworte», sagt er.

Ist nicht auch dies ein schöner Erfolg für das St. Galler Kantonsjubiläum 2003…?!

Hans Fässler, Reise in Schwarz-Weiss. Schweizer Ortstermine in Sachen Sklaverei, Rotpunktverlag 2005/Une Suisse esclavagiste. Voyage dans un pay au-dessus de tout soupçon, Duboiris 2007.