Die Schweiz als Sklavenhändlerin?

swissinfo  20. April 2003

Die Schweiz liegt nicht am Meer. Das hinderte sie aber nicht daran, sich im 18. Jahrhundert an der Ausbeutung der Schwarzen zu beteiligen. In den Annalen des Dreieckhandels kommen die Namen mehrerer grosser Schweizer Familien vor.

Die Schweiz im 18. Jahrhundert: Hirten und Herden, Berge und Wasserfälle, die Schweiz, die von den Reisenden jener Zeit so gerne besungen wurden. Das ist richtig. Aber hinter dieser idyllischen Schweiz, oder vielmehr neben ihr, gab es noch eine andere. Eine Schweiz, die Teil jener Epoche und jenes Raums namens Europa war.

Und der Schein kann auch trügen: „In den Bergen im Kanton Appenzell Ausserrhoden wussten es die Textilarbeiterinnen und -arbeiter immer, wann ein Konvoi von portugiesischen Schiffen in Richtung Antillen ausfuhr“, erzählt Hans Fässler, St. Galler Politiker und Kabarettist, der umfangreiche Recherchen über diese Frage angestellt hat.
 
Globalisierung, damals schon
 
Ein grosses Segelschiff läuft mit Handarbeiten an Bord aus einem europäischen Hafen aus. In Afrika werden diese gegen eine Lieferung „Ebenholz“ ausgetauscht. In Amerika oder den Antillen werden die Sklavinnen und Sklaven verkauft, dafür werden Kolonialwaren geladen, die nach Europa verschifft werden. Das ist der berühmte "Dreieckshandel".

Die Schweiz ist keine Seefahrernation. Wie konnte sie sich dann am Handel mit den Schwarzen beteiligen? So fragen unschuldige Gemüter. Doch schliesslich hat die Alinghi den America’s Cup auch in die Schweiz geholt. Nichts ist also unmöglich.

Europa war schon damals mehr als ein Nebeneinander von Staaten. Es bestand ein enges Netz an Finanz- und Handelsbeziehungen. Und die Helvetische Konföderation, die Kantone, aus denen sie bestand, war vollständig integriert.

Die Schweiz war vor allem auf die französischen Häfen ausgerichtet – Marseille, Bordeaux, Nantes – welche die Hochburgen des Sklavenhandels waren. Über den Textilhandel, der ein integraler Teil des Menschenhandels war, aber auch über die Finanz.

Der Dreieckshandel benötigte nämlich grosse Mengen an Geld. Zum Chartern und Versichern der Schiffe, zur Entlöhnung der Besatzung, zum Kauf der Waren, welche nach Afrika exportiert wurden. Kurz, für sehr gewichtige Expeditionen, die aber nicht sofort etwas einbrachten.

Denn vom Zeitpunkt der Abfahrt des Schiffs bis zu seiner Rückkehr mit den Kolonialwaren an Bord, mit denen der Gewinn gemacht wurde, konnte es gut und gerne zwei Jahre dauern … Deshalb waren Geldgeber sehr wichtig, diese Händler, die gleichzeitig Bankiers und deshalb sehr gefragt waren. Damals bereits spannten die Handels- mit den Spekulationskreisen zusammen.
 

Namen …
 
In dieses Spiel des kommerziellen und finanzielle Einsatzes "sind immer die grossen bürgerlichen Namen des 18. Jahrhunderts verwickelt: Zellweger in Ausserrhoden, Zollikofer und Rietmann in St. Gallen, Leu und Hottinger in Zürich, Merian und Burchkardt in Basel, De Pury und Pourtalès in Neuenburg, Picot-Fazy und Pictet in Genf", stellt Fässler fest.

Bekannte, ehrenhafte Namen. Wie auch die Namen gewisser Schiffe sehr ehrenhaft waren: So charterte ein Waadtländer Unternehmen zwei Schiffe, die "Pays de Vaud" und die "Ville de Lausanne", und baute sie für den Transport von Sklavinnen und Sklaven aus Mosambik um. Auch ein drittes Schiff, die 'Helvétie', übernahm solche Transporte.

"In Surinam gab es Plantagen, welche unter Schweizer Leitung standen, die hiessen ‘Helvetia’ oder ‘La liberté’. Das war ziemlich zynisch", findet Fässler. Und in diesem Zusammenhang ist auch die ‘Purysburg’ zu nennen, welche von einem De Pury in Virginia gegründet wurde. Einer seiner Söhne kam später bei einem Sklavenaufstand um.

Damals sprach man auch vom "Königreich Pourtalès". Die Neuenburger Familie war vor allem über den Handel mit ‘Indiennes’, einem gemusterten Baumwollstoff, der gegen Sklavinnen und Sklaven ausgetauscht wurde, reich und mächtig geworden.

Moralisch oder unmoralisch?

Wir erinnern uns an die Diskussion um die Pilatusflugzeuge. Diese Zivilflugzeuge konnten sehr einfach zu Kampffliegern umgebaut werden. Die Linke wollte sie deshalb für den Export als "Kriegsmaterial" deklariert haben. Die Wirtschaft war dagegen.

Die Diskussion um die Kolonialwaren lief ähnlich: „Einige fanden, dass der Handel von Baumwolle, Kaffee und Zucker weder unmoralisch noch kriminell sei“, stellt Fässler fest, und fügt bei:

"Aber man kann dies auch unter einem anderen Gesichtspunkt sehen. Für einen Historiker aus Afrika oder den Antillen geht es dabei um ein System, das nur über den Handel mit Schwarzen und über Plantagen möglich war."

swissinfo, Bernard Léchot
(Übertragung aus dem Französischen: Charlotte Egger)