Hurra, wir sind 200 Jahre alt!.

Der Kanton St.Galten, dieses Patchwork aus verschiedenen Regionen rund um die beiden Appenzell, jubiliert aufwändig unter dem Motto «Sich neu begegnen». Interessant sind dabei nicht Veranstaltungen, wo unsere Magistraten und die Verwaltung sich in Szene setzen und mit der Bratwurst in der Hand Altbekannten wieder mal neu begegnen, sondern jene Anlässe, wo tatsächlich die Möglichkeit besteht, unbekannte oder fremde Menschen kennen zu lernen.


Dies ist etwa der Fall am internationalen Volksfest, an den Abenden von «Musik und Migration». Von Interesse sind auch verschiedene Buchprojekte, wo Autorinnen und Autoren sich an unpopuläre, abseitige und verdrängte Realitäten unseres Kantons herantasten oder wo eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit stattfindet. Wie in Hans Fässlers Kabarett «Louverture stirbt 1803».

Mitschuld am Sklavenhandel
Bei seinen Recherchen ist Fässler durch. Zufall darauf gestossen, dass auch Eidgenossen in Südamerika und der Karibik in üble Händel verstrickt waren: Handelshäuser aus Basel, Zürich und St.Gallen betrieben Plantagen in der neuen Welt und beteiligten sich am Sklavenhandel. Aber nicht genug: Während die Untertanen der 13-örtigen Eidgenossenschaft gierig die Parolen der französischen Revolution aufnahmen und zur politischen Aktion schritten, bekämpften andere Eidgenossen - auch Soldaten aus St.Gallen - aufständische Schwarze in Haiti, welche die gleichen Rechte auch für sich forderten. 1803, als Napoleon den Kanton St.Gallen ins Leben rief und den Wirren in der Eidgenossenschaft ein Ende bereitete, starb in einem Gefängnis nahe der Schweizer Grenze der Anführer der Schwarzen auf Haiti, Toussaint Louverture.

Hier wie dort: der Kampf um Freiheit, die Auseinandersetzung zwischen Reaktion und Fortschritt. Unsere alte Geschichtswissenschaft, praktisch immer auf der Seite der Reaktion, hat die Greuel der Revolution und das kluge Masshalten der Eidgenossen hervorgehoben, aber nie die trüben Machenschaften unserer Vorfahren, wie dies eben jetzt unser Kabarettist Hans Fässler tut. Er gibt sich jedoch, anders als Niklaus Meienberg, nicht als Historiker und konsequenter Schürfer niederschmetternder Fakten, obwohl er in den Pariser Archiven minutiös recherchiert hat, sondern als biederer Teilnehmer der Internet-Gesellschaft, der beim Herumsurfen zufällig auf Fakten stösst und diese zufälligen Splitter der Wahrheit dem halb geschockten, halb amüsierten Publikum in wechselnden Rollen an den Kopf wirft.

Das Kantonsjubiläum wird mit knapp 40 Projekten vielfältig gefeiert und nach Regierungspräsident Peter Schönenberger mit hohem Anspruch: alle Projekte sollen dazu beitragen, «unsere gemeinsame Geschichte zu verstehen». Alle Projekte? Das ist wohl nicht ganz ernst gemeint, ganz abgesehen davon, dass eine «gemeinsame Geschichte» immer eine Konstruktion ist. Wir kennen nur Teilbereiche, kennen Splitter der Wahrheit, wie sie eben Hans Fässler entdeckt und damit wohl einen Glanzpunkt des Jubiläums gesetzt hat.

Walter Fuchs

> www.louverture.ch