Der Mann mit vielen Talenten

Hans Fässler ist ein vielseitiger Mensch: Lehrer, Kabarettist, Autor,
Hausmann, und bis vor einigen Jahren war er auch Politiker.
Starallüren sind dem St.Galler Arbeitersohn fremd, er spricht
Klartext.


Mit seinem Kabarett «Louverture stirbt 1803» holt Hans Fässler ein
bisher kaum beachtetes Stück Schweizer Geschichte ins Bewusstsein
der Öffentlichkeit. Bild: Katja Nideröst

Den seinerzeitigen Rückzug aus politischen Ämtern erklärt Hans
Fässler keineswegs mit Frustration über nicht Erreichtes, sondern
schlichtweg mit Zeitmangel. Was nicht heisst, dass der SP-Mann zu
einem Politabstinenten geworden wäre. Seine Anliegen und Ideen
bringt er immer wieder als Kabarettist vors Volk. Gegenwärtig mit
seinem jüngsten Werk zur Feier des Kantonsjubiläums «Louverture
stirbt 1803», wo er die Verstrickungen der Schweiz in Ausbeutung und
Sklavenhandel im 18. Jahrhundert geisselt. Rund 20 Mal stand er damit
auf den Bühnen der Ostschweiz und darüber hinaus. Und der St.Galler
kam an mit seinem jüngsten Stück, Publikum und Kritik lobten einhellig.
Kabarett-Altmeister Franz Hohler meinte beispielsweise: «Es ist eine
anspruchsvolle, witzige, geistreiche Heimatkunde, welche die Miseren
der Gegenwart immer wieder mit denen der Vergangenheit verknüpft.»
Und Hans Fässler stellt dies so geschickt an, dass er den berühmten
Kollegen zum Lachen und zum Weinen bringt, wie dieser offenmütig
verrät. Jean Ziegler wiederum sieht in «Louverture» «ein heilsames
Projekt für das Schweizer Kollektivbewusstsein». Und damit dieses
auch entsprechend aufgerüttelt wird, lud Fässler Vertreter aus Afrika und
der Neuen Welt nach Trogen - was wiederum zur Folge hatte, dass der
St.Galler nun zu einer Konferenz in Port au Prince (Haiti) geladen wurde.
Dort sollen internationale Fachleute darüber nachdenken, wie man
Frankreich zur finanziellen Wiedergutmachung bringt dafür, dass Haiti
sich vor 200 Jahren die Unabhängigkeit teuer erkaufen musste.

Die Einladung freut Hans Fässler, was ihn dagegen weniger freut:
«Dass ich mit ?Louverture? trotz der positiven Aufnahme mein
eigentliches Ziel noch nicht erreicht habe, nämlich mit dem historisch
brisanten Thema schweizweit eine Diskussion auszulösen.» Allerdings
sieht er auch ein, dass sein Land im Moment andere Sorgen hat
(Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, explodierende Gesundheitskosten),
doch warnt der Historiker: «Die Sünden der Vergangenheit holen uns
immer wieder ein. Die Schuld des Westens gegenüber Afrika und der
Neuen Welt muss aufgearbeitet werden.» Deshalb ist Fässler nun auch
daran, all das Material, das er für «Louverture» gesammelt hat (darunter
bisher noch nicht veröffentlichtes) zu einem Buch zu verarbeiten. Ein
renommierter Verlag konnte bereits auch gewonnen werden, so ist
Fässler hoch motiviert, sich in seinem Bildungsurlaub 2005 ans
Schreiben zu machen. Erscheinungsdatum: Frühling 2006. Darüber
hinaus konnte der Ex-Politiker Parlamentarier zu Vorstössen in etlichen
Kantonen bewegen, die sich unter anderem für eine symbolische, aber
auch materielle Wiedergutmachung stark machen. Illusionen über
rasche Erfolge macht sich Fässler allerdings nicht. «Grosse Themen
brauchen Zeit. Als Historiker bin ich geduldig», sagt er, der sich
ansonsten als eher ungeduldigen Menschen beschreibt.

Vergessen und vergeben ist auch der «Fahnenstreit», der als
Begleiterscheinung zu «Louverture» ausbrach: Bischof Ivo Fürer hatte
dem Kabarettisten verboten, die Trikolore auf der Kathedrale zu hissen.
«Wir hatten damals ein langes, interessantes Gespräch», sagt Fässler.
Beinah zum Fürer-Fan wurde Fässler ein wenig später, nachdem er am
Festgottesdienst zum Kantonsjubiläum in der Kathedrale die Lesung
des Imam aus dem Koran miterlebt hatte. «Das wäre vor zehn Jahren
unmöglich gewesen», ist er überzeugt.

Er selbst versucht, die Welt ins Schulzimmer zu bringen, und versteht es
auch, die Geschichte immer wieder in den Sprachunterricht einzubauen.
Kabarettist Fässler verdient nämlich - da die Kunst meist brotlos ist -
seinen Lebensunterhalt als Lehrer. Mit einem 70%-Pensum unterrichtet
er Englisch an der Kantonsschule Trogen, und die jungen Leute
schätzen seinen aktualitätsbezogenen Unterricht. Dass der St.Galler
ausserkantonal arbeiten muss, hat vielleicht politische Gründe. «Meine
seinerzeitige Bewerbung an der Kantonsschule St.Gallen wurde
abgelehnt» - und auch in Trogen gabs anfangs «Nebengeräusche». Ob
die Wahl eines radikalen, linken Lehrers richtig sei, wurde da mehr oder
weniger laut gefragt, und ein kleines Geschichtspensum für Fässler
wurde erst gar nicht öffentlich bekannt gegeben, um nicht konservative
Kreise zu verunsichern. «Ich war immer gern in Trogen und bin
mittlerweile richtig etabliert», sagt Fässler. Kommt ihm seine
Bühnenerfahrung zugute im Lehrerberuf? «Es ist eher umgekehrt.
Lehrerfähigkeiten sind auch auf der Bühne hilfreich: korrekt auftreten,
sprachlich gewandt sein, sich der Beobachtung aussetzen können.»
Zumal für einen wie ihn, der prinzipiell nur solo auftritt und sein eigener
Manager, Chauffeur, Beleuchter, Kulissenschieber ist. Für Starallüren
bleibt da weder Zeit noch Kraft. «Es kommt vor, dass ich vormittags
unterrichte, nachmittags den Haushalt erledige und abends auf der
Bühne stehe», sagt er. Denn Hans Fässler ist auch Hausmann. Wenn
seine geschiedene Frau als Logopädin im Einsatz ist, kümmert er sich
um die beiden halbwüchsigen Söhne. Möglich wirds, weil man im
selben Quartier wohnt. Seit dem Sommer ist Hans Fässler wieder
verheiratet - und seither ist der überzeugte Radfahrer (aus ökologischen
Gründen) erstmals in seinem Leben auch Mitbesitzer eines Autos, das
allerdings zumeist seine Frau für ihre Einsätze als freiberufliche
Hebamme benützt. Aus Rücksicht auf die Natur hat Hans Fässler früher
sein Hobby, das Extrembergsteigen, auch ausschliesslich in den
Bergen seiner Heimat betrieben und auf exotische Gipfel verzichtet. «Ich
finde, es wird zu viel und zu schnell gereist», erklärt er diese
Selbstbeschränkung. Und wenn er demnächst nach Haiti jettet, dann tut
er dies «für ein politisches Engagement und nicht, um am Strand zu
liegen». Die Bescheidenheit seiner Herkunftsfamilie hat sich Hans
Fässler also bewahrt. Der Vater, ein Bauernsohn, war Arbeiter in der
Schokoladenfabrik, die Mutter Diätköchin am Kantonsspital. «Ich bin
trotzdem kein Kostverächter», versichert Hans Fässler, der trotz der
Kochkünste seiner Frau schlank bleibt, aus Veranlagung, wie er
vermutet. Aufgewachsen ist Fässler im Lachenquartier zusammen mit
einer älteren Schwester, die heute in Kanada lebt. «Wir hatten eine sehr
schöne, geborgene Kindheit», sagt er. Als seine Eltern vor zwei Jahren
kurz hintereinander starben, hat er «viel gelernt über Kliniken, Spitäler,
Krankheit, Leben, Sterben, Tod». Helga Schabel

Hans Fässler, Louverture stirbt 1803, 1. November, 19.30 Uhr, Offene Kirche
St.Leonhard, St.Gallen.

Zur Person

Hans Fässler

Geboren am: 27. Februar 1954 Wohnort: St.Gallen Lebenslauf:
Anglistik und Geschichte an der Universität Zürich,
Lehrer-Stellvertreter an verschiedenen St.Galler Schulen, seit 1992
Lehrer an der Kantonsschule Trogen, seit 1978 Mitglied der
Sozialdemokratischen Partei, 1984?1994 Kantonsrat St.Gallen,
1986?1993 Parteisekretär SP Kanton St.Gallen. In den 70er-Jahren
Gitarrist, Texter, Sänger in verschiedenen Folkgruppen, seit 1980
mehrere Kabarett-Programme, 2003 «Louverture», Kabarett zum
Kantonsjubiläum.