WoZ 25.3.10
Zürcher Sklavereiakten – Der Streit um die gesperrten Dokumente bei der Credit Suisse ist mehr als ein Streit unter HistorikerInnen. Was der Leu mit Afrika zu tun hat.
Von Hans Fässler
Dorothy Tillman war nicht nur für ihre modischen Hüte bekannt. Die schwarze Bürgerrechtsaktivistin, die im Stadtparlament von Chicago die South Side vertrat, stammte aus Alabama und marschierte als 18-Jährige mit Martin Luther King. Sie setzte sich für Reparations zahlungen an ehemalige SklavInnen ein und schrieb 2002 Geschichte, als der Chicagoer Stadtrat ihren Gesetzesvorschlag annahm. Dieser verlangte, dass jede Firma, die mit der Stadt Verträge abschliesst, ihre Beziehungen zur Sklaverei offenlegt. Hier kommen die UBS und ein St. Galler Kaufmann ins Spiel.
Missglückte Reinwaschung
2003 holte das Gesetz die Investmentbank Lehman Brothers ein, die offenlegen musste, dass die Gebrüder Lehman in Montgomery Sklaven besessen hatten. 2005 war Wachovia dran. Deren Vorgängerbank besass 100 Sklaven und war mit Sklavenhandelsprofiten aufgebaut worden. Auch die Bank of America und JP Morgan mussten Sklavereigeschäfte eingestehen. 2006 erschien dann in der "Chicago Sun-Times" der Artikel "UBS gesteht Sklavereiverbindungen". Bei der Finanzierung einer Piste des Chicagoer Flughafens O'Hare durch die UBS Securities LLC waren Hinweise aufgetaucht, dass der St. Galler Jakob Laurenz Gsell (1815-1896), Gründer der UBS-Vorfahrin Deutsch-Schweizerische Creditbank, in Brasilien Sklaven gehalten habe.
Aus Angst vor dem Vorwurf, ihre Sklavereivergangenheit verstecken zu wollen - ein solcher Vorwurf hatte 2005 Wachovia getroffen und deren Beteili gung an einem Bauprojekt gefähr det -, liess die UBS den Historiker Urs Alfred Müller-Lhotska die Biografie von Gsell aufarbeiten. Im Klappentext des im NZZ-Verlag erschienenen Buches steht als verschämter Hinweis auf den Autor: "Leitet das Konzernarchiv einer grossen Schweizer Bank." Um herauszufinden, dass es sich um die UBS handelt, benötigt man im Internet sieben Sekunden. Pikantes Detail: Müller-Lhotska war angetreten, Gsell vom Vorwurf reinzuwaschen, Sklavenhändler gewesen zu sein. In seinem Buch musste er aber schliesslich darlegen, dass Gsell nicht nur Sklaven besessen und für einen Freund eingekauft, sondern diese auch eigenhändig gezüchtigt hatte.
Was der UBS ihr Hofhistoriker Müller-Lhotska, ist der CS Joseph Jung. Der 55-jährige "Head Corporate History" scheint auf Firmengeschichten (SKA, Winterthur, Leu) und die Familie Escher (Alfred, Lydia) abonniert und hat für seine Jubiläumsschrift von 2005 Zugang zum Firmenarchiv bekommen. Ebenfalls Zugang bekamen früher die bürgerlichen Historiker Julius Landmann (1905) und Hans Conrad Peyer (1968) sowie vermutlich der Bankenhistoriker Herbert Lüthy (1959). Nicht so Konrad Kuhn von der Uni Zürich. Als dieser im Kontext des Postulats "Verbindungen der Stadt Zürich und von Zürchern zu Sklavenhandel und Sklaverei" bei der CS anfragte, bekam er im August 2007 zur Antwort, der Archivzugang sei für unabhängige Forscher unmöglich.
Keine Chance hatte auch Alex Larsen, dänischer TV-Journalist und Sklavereiexperte. Sein Argument, Dänemark sei die Sklavereination Nummer 7 gewesen und habe diese Position nur "dank Banken wie der Ihrigen" erreicht, verfing ebenso wenig wie das von Karfa Diallo. Der senegalesische Präsident der Gruppe Divers Cité in Bordeaux, die sich um die Aufarbeitung der Rolle der Stadt beim Sklavenhandel bemüht, gab vergebens zu bedenken, es sei für seine Organisation wichtig, Zugang zu Archiven zu haben, um das Menschheitsverbrechen Sklaverei verstehen zu können. Schliesslich erhielten auch der Angolaner Mandu dos Santos Pinto aus Zürich und der Sklaverei- und Reparationsaktivist Shelley Moorhead aus St. Croix eine Abfuhr. Ersterer ist Präsident der Plattform Sankofa für Menschen afrikanischen Erbes, Letzterer fordert als Nachfahre von Sklaven auf den US Virgin Islands Gerechtigkeit. Es ist also irreführend, wenn in der Presse von einem "Historikerstreit" die Rede ist. Es geht ebenso sehr darum, dass die Nachfahren der Sklavereiopfer Zugang zu ihrer Geschichte bekommen.
Kopfschütteln und Gelächter
Im Dezember 2007 kam es im Zürcher Gemeinderat zu einer Debatte, die aus heutiger Sicht wie ein vorgezogener Abwehrkampf gegen die aktuelle Aufhebung des Bankgeheimnisses wirkt. Es ging um ein Postulat der Alternativen Liste, das die Stadt verpflichten wollte, bei der CS den Zugang zu den Akten der 1990 von ihr übernommenen Bank Leu in Bezug auf die Sklaverei durchzusetzen. Dies wurde insbesondere damit begründet, dass die 1755 gegründete "Zinskommission Leu" eine halbstaatliche Bank gewesen sei.
Nebst dem klassischen und letztlich post kolonial-rassistischen Argument, man könne ja nicht alles Unrecht der Welt aufarbeiten und man müsse doch jetzt nach vorne schauen, sorgte vor allem ein FDPler für Kopfschütteln und Gelächter. Jeder anständige Mensch wäre in den Ausstand getreten, wenn seine Interessenbindung so offensichtlich gewesen wäre wie bei Monjek Rosenheim, Mitglied der Bankdirektion Clariden-Leu. Der aber votierte: "Da gibt es auch noch einen Persönlichkeitsschutz, meine Damen und Herren, und zwar letztlich eben auch zurück ins 18. Jahrhundert, weil Sie heute Familien haben, die nach wie vor Nachkommen haben. Wenn Sie natürlich meinen, man könne jetzt da namentlich alles aufdecken und machen und tun - das Bankgeheimnis erlischt nicht mit dem Tod eines Bankkontoinhabers!"
"Grosse Verärgerung"
Auf alten Karten steht im Inneren Afrikas: "Hic sunt leones". Dass es dort nicht nur Löwen gab, die sich die Bank Leu für ihr Wappen auswählte, sondern dass von dort die SklavInnen kamen, die in Amerika den Reichtum Europas begründeten, wusste man in gebildeten Kreisen schon Mitte des 18. Jahrhunderts. Voltaires "Candide" mit dem berühmten Satz über den Sklaven, der in der Zuckermühle die Hand verloren und dem man ein Bein abgehackt hatte ("Um diesen Preis esst ihr Zucker in Europa!"), erschien gerade vier Jahre nach der Gründung der Zinskommission Leu.
Dass die CS via die 1990 übernommene Bank Geschäfte mit der Sklaverei gemacht hat, ist durch bürgerlich-unverdächtige Historiker belegt. Die Bank Leu hielt Aktien der französischen Compagnie des Indes, die über 40 000 AfrikanerInnen deportierte. Sie gewährte Dänemark eine Anleihe, mit der es drei Antilleninseln als wichtigen Umschlagsplatz für Sklaven erwarb. Und sie akzeptierte für ein Darlehen als Sicherheit die Verpfändung einer Schuldverschreibung auf einer Sklavenplantage auf der dänischen Antilleninsel St. Croix.
Man darf gespannt sein, wie der Bürgermeister von Chicago, der vor kurzem einen Brief aus der Schweiz bekommen hat, auf all dies reagiert. Beziehungsweise all die US-Städte und Bundesstaaten, die über ähnliche Gesetze wie den "Slavery Era Disclosure Act" verfügen und allenfalls mit der CS Geschäfte tätigen wollen: Los Angeles, Detroit, New York, North Carolina, Cleveland, Philadelphia, Oakland, Massachusetts und Maryland. Die Aussage im "Tages-Anzeiger", der Brief über die Sklavenvergangenheit der CS habe "innerhalb der Bank grosse Verärgerung ausgelöst", lässt schon mal hoffen.