Hans Fässler: Reise in Schwarz-Weiss. Schweizerische Ortstermine in Sachen Sklaverei. Rotpunktverlag, Zürich, 2005 (340 S., Fr. 36.00, € 22.00)

Thomas David, Bouda Etemad, Janick Marina Schaufelbuehl: Schwarze Geschäfte. Die Beteiligung von Schweizern an Sklaverei und Sklavenhandel im 18. und 19. Jahrhundert. Limmat Verlag, Zürich, 2005 (200 S., Fr. 34.00)

Auf die im Vergleich zu den Holocaustopfern wenig thematisierte Entschädigung für die afrikanischen Opfer einer 500-jährigen Ausbeutung, insbesondere des Sklavenhandels, angesprochen, antwortete Joseph Ki-Zerbo, Historiker aus Burkina Faso, unter anderem: „Es geht mir nicht vordringlich um jenes Unrecht, das den Schwarzen in ihrer Eigenschaft als Schwarze angetan worden ist. Vielmehr verlange ich, dass das Unrecht an den Schwarzen als Unrecht an der menschlichen Gattung anerkannt wird. Es gibt meiner Meinung keine Menschengruppen, die mehr erniedrigt worden wäre, als wir Schwarzen. An dem Tag, an dem dies anerkannt wird, werden wir in die menschliche Gattung aufgenommen.“ (Ki-Zerbo, Joseph, 2004: À quand l‘Afrique? Entretien avec René Holenstein. La tour d'Aigues/ Lausanne)

Landläufig wird davon ausgegangen, dass sich die Schweiz in Sachen Sklaverei nichts hat zuschulden kommen lassen; sie besass keine Kolonien und war keine See- oder Handelsmacht. Dass dem nicht so ist, zeigen die beiden anzuzeigenden Bücher auf. Und sie machen klar, dass auch hierzulande noch einiges getan werden muss, bis das Unrecht an den Schwarzen im Sinne Ki-Zerbos anerkannt ist.

Fässler nimmt uns in seiner Studie mit auf eine Reise an neunzehn Orte zwischen Boden- und Genfersee. Immer wieder finden wir uns vor herrschaftlichen Palästen, können den Blick von Residenzen übers Land schweifen lassen, stehen vor geschlossenen Toren multinationaler Konzerne oder dem Prachtsbau einer psychiatrischen Klinik – und an jedem Ort lüftet Fässler ein Teil des „Geheimnisses“ dieses Reichtums in der Schweiz. Wir lernen den atlantischen Dreieckshandel kennen, bei welchem europäische Handelsflotten europäische Güter (bedruckte Baumwollstoffe) nach Afrika brachten, dort im Tausch Sklaven einkauften, diese nach Amerika schifften, um dort mit dem Verkaufsgewinn Rohstoffe (Baumwolle, Gewürze, Edelmetalle) für Europa zu erwerben.

Auf vielfältige Weise waren Schweizer am Sklavenhandel beteiligt. Sie finanzierten oder versicherten Expeditionen, investierten in den Kauf von Sklaven oder betrieben in Übersee Plantagen, sie handelten mit Gütern aus Sklavenproduktion oder leisteten Söldnerdienste zur Sicherung des Sklavereisystems. Wissenschaftlich und publizistisch wurden in der Heimat die Sklaverei legitimiert und dem Rassismus Vorschub geleistet. So etwa durch den Berner Staatsrechtler Carl Ludwig von Haller, der 1818 erklärte, „Sklaverei sei weder unmoralisch noch unrecht, weder abscheulich noch verbrecherisch, sondern vernünftig.“ (S.177) Zu diesem Zeitpunkt waren bereits über 8 Millionen Sklavinnen und Sklaven nach Amerika gebracht worden. Fässler versteht deshalb Beteiligung an der Sklaverei als „all jene privaten, geschäftlichen, wissenschaftlichen oder publizistischen Tätigkeiten, welche Profi te aus der Sklaverei oder dem Sklavenhandel anstrebten oder welche mithalfen, Sklaverei als Institution zu ermöglichen oder aufrechtzuerhalten.“ (S.21)

Im ersten Teil der Arbeit von David, Etemad und Schaufelbuehl treffen wir auf dieselben illustren Namen, die schon bei Fässler auftauchen: de Pury, Escher, Rieter, Zellweger, Haller, Burckhardt, Guyer-Zeller, etc. Bekannt als Exponenten der industriellen Entwicklung der Schweiz, tauchen sie hier in einem historischen Kontext auf, der ihre wirtschaftlichen Erfolge und ihren Reichtum zum Teil auf ihre Beteiligung an der Sklaverei zurückführen lässt. Bei erhöhtem Risiko lockte die Sklavereiwirtschaft mit hohen Profi ten, dennoch dürften gemäss den AutorInnen die Schweizer ihre Gewinne vornehmlich in den „dem Sklavenhandel“ vorgelagerten Wirtschaftszweigen getätigt haben. „Sicher aber basieren die im Handel und Verkauf von Kolonialwaren akkumulierten Profite immanent auf der Arbeit von Sklavinnen und Sklaven, die diese Erzeugnisse anbauen – die Feststellung gilt für zahlreiche Schweizer Geschäftsleute, die in diesem Teil der Welt tätig sind“ (S. 102).

Im zweiten Teil gehen die AutorInnen auf Schweizer ein, die in Amerika direkt Plantagen mit Sklaven besassen oder verwalteten. In ihrem Verhalten unterscheiden sie sich nicht von andern Sklavenbesitzern. Die Sklaven waren bewegliche Güter, die gekauft und verkauft wurden. Starben sie, so waren das buchhalterische Verluste, wehrten sie sich, so konnten sie ohne weitere Folgen auf brutale Weise bestraft oder umgebracht werden.

Ab Ende des 18. Jahrhunderts und während des gesamten 19. nahm die Diskussion um den Sklavenhandel und die Forderung nach dessen Abschaffung in Europa und Nordamerika (Sezessionskrieg) stark zu. Im dritten Teil ihres Buches widmen sich David, Etemad und Schaufelbuehl in diesem Zusammenhang der schweizerischen Bewegung gegen die Sklaverei. In ihr finden sich protestantische Organisationen und liberal-konservative Kreise im gemeinsamen Bekenntnis zur „Hebung der Sittlichkeit“ und zum Kampf gegen den „moralischen Verfall der Gesellschaft in einer Phase der Hochkonjunktur und eines raschen industriellen Wachstums“ (S.158). In der Folge kommen die Bemühungen um die Evangelisierung der ehemaligen Sklaven und ein expliziter Antiislamismus hin: „Der Sklavenhandel ist im Islamismus zu bekämpfen, aus dem er sich speist. (…) Die Araber werden mit dem Feind identifiziert, den man im Namen der Zivilisation bekämpfen muss“ (S.163).

Womit wir endgültig im Heute angelangt wären. Verschiedene Initiativen von Fässler haben zu kantonalen und eidgenössischen parlamentarischen Anfragen geführt, sodass sich in jüngster Zeit mehrere Parlamente und Regierungen mit der Frage der schweizerischen Beteiligung am Sklavenhandel auseinandersetzen mussten oder noch müssen, detailliert aufgelistet sind die Vorstösse auf der Homepage www.louverture.ch. Während in einigen regierungsrätlichen Antworten eine Verbindung zum Sklavenhandel zurückgewiesen wurde, signalisierten andere vorsichtiges Verständnis für das Anliegen und die Bereitschaft zur allfälligen Beteiligung an weiteren Nachforschungen. Dies ist ein nicht zu unterschätzender Erfolg Fässlers und der Studie von David, Etemad und Schaufelbuehl sowie all jener ParlamentarierInnen, die sich bereit erklärten, die entsprechenden Anfragen in ihren Parlamenten einzureichen. Bis zur Anerkennung des Unrechts an den Schwarzen bleibt gleichwohl noch ein langer Weg.

„Als ich dem haitianischen Honorarkonsul Brave Hyppolite erzählte, ich sei überzeugt, dass es nach der Zusammenarbeit mit Hitlerdeutschland und der Komplizenschaft mit dem südafrikanischen Apartheidregime nun bezüglich Sklaverei ein drittes düsteres Kapitel der Schweizer Geschichte aufzuarbeiten gelte, sagte er mir einem feinen Lächeln: ‘Das wäre dann aber nicht das dritte Kapitel, sondern das erste!“ (S.27)

 

Urs Sekinger