Max Frisch und Léopold Senghor
Ein interkulturelles Lehrmittel verbindet die Schweiz mit Senegal

Die Zufälligkeit des Alphabets lässt zwei Länder beieinanderliegen, welche durch Welten getrennt sind. Das Lehrmittel «Senegal – Schweiz 1:1» bringt nun zusammen, was scheinbar nicht zusammengehört.

HANS FÄSSLER

Wenn Ibrahima Seck sagt, er liebe das Kind trotz seiner Mängel («J'aime le bébé malgré ses défauts!»), dann meint er damit nicht seinen kleinen Sohn, den er dem senegalesischen Ägyptologen und Nuklearforscher Cheikh Anta Diop (1923–1986) zu Ehren «Cheikh Anta» getauft hat. Der Historiker aus der senegalesischen Hauptstadt Dakar mit Spezialgebiet Sklaverei und Sklavenhandel bezieht sich damit vielmehr auf jenes Geschichtslehrmittel für die Sekundarstufe II, an dem er während acht Jahren mitgedacht und mitgearbeitet hat, und das nun in einer deutschen und einer französischen Fassung im Klett-Verlag erschienen ist.


Zwei Welten

Als Ausgangspunkt des wegweisenden Werks kann die Feststellung gelten, welche Lehrkräfte aus Senegal und ihre schweizerischen Kolleginnen und Kollegen an einem Kongress in Basel machten: dass man nämlich den Verallgemeinerungen und Klischees in der gegenseitigen Wahrnehmung etwas entgegensetzen müsse. Von Anfang an dabei war unter anderen der Berner Seminarlehrer und Historiker Daniel V. Moser, dessen Aufsatz «Schweizer Banken und der Black Holocaust» 1997 zum ersten Mal die Beteiligung unseres Landes an der Sklaverei und dem Sklavenhandel thematisierte.

Mehrere Male reisten Moser und seine Kolleginnen und Kollegen nach Senegal, um sich über die Darstellung der Schweiz im senegalesischen Schulsystem zu informieren und in Schulbesuchen ihre eigene Sicht der Schweiz an senegalesischen Jugendlichen zu «testen». Ibrahima Seck und seine Mitstreiter taten in der Schweiz dasselbe beziehungsweise das Umgekehrte.



Ibrahima Seck (links) zusammen mit Jeannot Hilaire
vor dem Trogener Gemeindehaus (Bild: HF)


Gegenüberstellung

Entstanden ist im wahrsten Wortsinne eine spannende und reichhaltige Gegenüberstellung zweier Länder und Kulturen. Nach dem Schema «links Schweiz/rechts Senegal» kann sich der Leser durch sieben Module arbeiten, oder die Leserin kann herausgreifen, was sie interessiert: Bildung der Nation, Einwanderung und Auswanderung, Zentrum und Peripherie, Stellung in der Weltwirtschaft sind einige Beispiele aus der Themenpalette.

Da trifft die Basler Fasnacht auf Kora- und Tamtam-Spieler, Jean-Jacques Rousseau auf traditionelle senegalesische Ringkämpfer, die viersprachige Schweiz auf die Vielfalt der senegalesischen Ethnien mit Wolof, Fulbe, Serer, Dyula und Mandingo, um nur einige zu nennen. Da stehen die fünf Agglomerationsräume der Schweiz der rasant wachsenden Hauptstadt Dakar gegenüber, welche das Umland und den ganzen Rest des Landes zu seinen Satelliten macht. Und da entdeckt man beim Nebeneinander von Genfer Flüchtlingsaufnahmezentrum und senegalesischem Fischerboot mit Flüchtlingen vor Teneriffa plötzlich, dass es sich ja um eine und dieselbe Welt handelt.


Senegal – Louisiana – Trogen

Aus Senegal stammten jene Sklavinnen und Sklaven, welche in Louisiana im Süden der USA den Baumwollanbau zum Blühen brachten, weil sie diese Agrartechniken bereits aus ihrer Heimat kannten. Aus Louisiana gelangte die Baumwolle zu Beginn des 19. Jahrhunderts bis nach Trogen, in die Zellweger'sche Spinnereifabrik, einem florierenden Unternehmen.

Darum nahm der Senegalese Ibrahima Seck auch 2003 in Trogen zusammen mit dem haitianischen UNO-Diplomaten Jeannot Hilaire an einem Treffen teil, welches den atlantischen Dreieckshandel versinnbildlichen sollte. An den Kantonsschulen von St. Gallen und Trogen stellte Seck einigen Französisch- und Geschichtsklassen sein Land vor, und auch diese Lektionen sind unmerklich in ein Lehrmittel eingeflossen, das nun gedruckt vorliegt.

Senegal – Schweiz 1:1. Ein interkulturelles und interdisziplinäres Lehrmittel für die Sekundarstufe II, hrsg. von der Erklärung von Bern. Klett, Zug 2007, Fr. 21.90