PK 19. 10. 2006

Sklavenhandel und Schweiz

"Der Bundesrat bedauert zutiefst die Beteiligung schweizerischer Bürger, Unternehmen und Organisationen am Sklavenhandel."

Mit seiner vorbehaltlosen Anerkennung einer schweizerischen Beteiligung am Sklavenhandel sowie seinem tiefsten Bedauern darüber hebt sich der Bundesrat erfreulich deutlich von der nationalkonservativen und eurozentrischen Geschichtsschreibung ab.

Mit seiner klaren Aussage nimmt er zur Kenntnis, was eine neuer Geschichtsforschung seit den späten 90er-Jahren immer deutlicher herausgearbeitet hat: Dass das Bild einer unschuldigen binnenländischen und alpinen Schweiz fern vom Treiben böser Kolonialmächte des 18. und 19. Jahrhunderts ein Mythos ist.

Mit der Anerkennung einer "schweizerischen" Beteiligung macht die Landsregierung auch deutlich, dass sie nicht bereit ist, das unwürdige Spiel mitzumachen, das von der Mitbeteiligung an einem der grössten Verbrechen gegen die Menschlichkeit ablenken will, indem argumentiert wird, es seien allenfalls Einzelpersonen, Firmen oder Orte der Alten Eidgenossenschaft gewesen, nicht aber der Staat Schweiz, und deshalb sei dies alles kein Thema der eidgenössischen Politik.

Als positiv festzuhalten ist insbesondere, dass der Bundesrat 2006 die ominöse, alles relativierende Schlussformel von 2003 ("Er sieht aber dort eine Grenze, wo sich durch den Lauf der Zeit durch die verjährende Wirkung der Generationenfolge die Verantwortlichkeit heutiger Generationen für Fehler der Ahnen verflüchtigt hat.") offenbar überwunden hat.

Mit dieser Position hat der Bundesrat nicht nur für die Schweiz eine bemerkenswert fortschrittliche Position eingenommen, sondern sogar im europäischen Kontext. So haben wir etwa vom schwedischen NGO-Vertreter Jan Lönn vom Student Movement for the United Nations, welcher diesen Juni auch als Redner vor dem Human Rights Council in Genf auftrat, erfahren, man wünschte sich in kolonialkritischen Kreisen in Schweden, dass die schwedische Regierung einmal ein solches Eingeständnis der schwedischen Mitverantwortung im Sklavenhandel machen würde.

Dies sind die erfreulichen Aspekte der bundesrätlichen Antwort auf meine Interpellation.

Nun zu einigen kritischen Punkten:

I) Noch immer fehlt das Eingeständnis, dass es eben auch staatliche und halbstaatliche Beteiligung an Sklaverei und Sklavenhandel gab: Bern (Beteiligung an der South Sea Company), Solothurn (Investition in der Mississippi-Spekulation) und Zürich (Plantagengeschäft der halbstaatlichen Bank Leu & Co.). Hat der Bundesrat Angst vor konkreten Wiedergutmachungsforderungen und stellt sich schützend vor BE, SO und ZH?

II) "Die Schweiz hat die Erklärung und das Aktionsprogramm der Weltkonferenz gegen Rassismus in Durban mitgestaltet, die unter anderem zum Ausdruck bringen, dass das in der Zeit des Kolonialismus und der Sklaverei begangene Unrecht kritisch aufgearbeitet werden muss. Sie ist heute nach wie vor bereit, eine vermittelnde Rolle zwischen afrikanischen Staaten und ehemaligen Kolonialmächten einzunehmen."

Dieser Abschnitt klingt erfreulich, aber das abgegebene Versprechen wird im Falle von Haiti und Frankreich gerade nicht eingehalten: Hier geht es ja um einen Konflikt zwischen einer ehemaligen Kolonialmacht und den Nachkommen afrikanischer Sklavinnen und Sklaven. Offenbar sind die bilateralen Beziehungen zu Frankreich aber doch noch ein Stück besser und wichtiger als diejenigen zu Haiti. Dieser Konflikt ist nicht durch die Forderung Haitis, sondern durch deren anfängliche Ignorierung durch Frankreich zur Konfrontation geworden. Gerade gegenüber Haiti könnte die Schweiz eine gewisse Pflicht zur Wiedergutmachung erfüllen: Es war unter anderem haitianische Sklavereibaumwolle, haitianischer Sklavereizucker und haitianisches Sklaverei-Indigo, welches die schweizerische Wirtschaft mit entwickeln half. Haitis Sklaven waren unter anderem mit Schweizer Geld in die Neue Welt verschifft, auf Plantagen in Schweizer Besitz ausgebeutet und unter anderem mit Schweizer Soldaten niedergehalten worden. Warum handelt die Schweizer Diplomatie nicht gerade in diesem Konflikt nach ihrer eigenen Maxime, "dass das in der Zeit des Kolonialismus und der Sklaverei begangene Unrecht kritisch aufgearbeitet werden muss", in Konflikten mit ehemaligen Kolonialmächten "eine vermittelnde Rolle einzunehmen" und "weniger Konfrontation und mehr Dialog" anzustreben sei?

III) "Die Schweiz wirkte in zwei Arbeitsgruppen im Rahmen der UNO-Menschenrechtskommission mit, um der Weltkonferenz gegen Rassismus von Durban politisch Folge zu leisten. Die Arbeiten in beiden Gruppen haben allerdings bis heute gezeigt, dass Sklaverei für Drittweltländer kein Schwerpunktthema ist. Der Fokus liegt vielmehr auf der Bekämpfung aktueller Diskriminierungen."

Es ist keineswegs überraschend, dass die Frage der Sklaverei bei Drittweltländern, welche um das nackte Überleben ihrer Bevölkerungen kämpfen, nicht im Vordergrund steht. 2003 hat der Bundesrat noch von "der Beteiligung der Zivilgesellschaft" gesprochen, 2006 hat er diese schlicht vergessen. Auf dieser Ebene gab es und gibt es nämlich in der Tat eine grosse Anzahl von Organisationen und Initiativen, welche Aufarbeitung und Wiedergutmachung fordern:

- Pan-African Reparations Conference
- Black Quest for Justice Campaign
- Human Rights Watch
- National Coalition of Blacks for Reparations in America
- World Reparations and Repatriation Truth Commission
- anti-slavery
- Africa Reparations Movement
- Devoir de Mémoire
- Mouvement International pour les Réparations

Mit der genau gleichen Begründung ignoriert der Bundesrat übrigens die Bedeutung der südafrikanischen zivilgesellschaftlichen Forderungen nach Wiedergutmachung für Apartheid. Anzufügen ist zudem, dass in der internationalen Diskussion um die Weiterentwicklung des Völkerrechts die Frage von Wiedergutmachung und "Accountability" immer wichtiger wird.

Was bleibt zu tun?

=> Die Schweiz soll sich bei den entsprechenden UNO-Gremien dafür einsetzen, dass der vorgeschrieben Prozess der Überprüfung der Umsetzung der Erklärung und des Aktionsprogramms der Konferenz von Durban zustande kommt und darin die Frage der Sklaverei den von den "black communities" geforderten und ihr zustehenden Stellenwert bekommt.

=> Die Schweiz soll im Rahmen der UNO oder des Human Rights Council zusammen mit anderen kleineren Sklavereinationen (Schweden, Dänemark, Brandenburg-Preussen) zusammen eine Initiative ergreifen, welche in enger Absprache mit Organisationen der schwarzen Zivilgesellschaften die grösseren Sklavereinationen wie England, Frankreich, Spanien, Portugal, Holland und die USA in einen Prozess einbinden, der über die Stufen Erinnern, Aufarbeiten und Wiedergutmachung zu Versöhnung führen kann.

=> Die Schweiz soll in der Frage der Rückerstattung der Haiti von Frankreich abgepressten "Unabhängigkeitszahlung" eine diplomatische Initiative zu einer einvernehmlichen Lösung ergreifen und damit ihr Versprechen von der "kritischen Aufarbeitung des in der Zeit des Kolonialismus und der Sklaverei begangenen Unrechts" sowie von der "vermittelnden Rolle" zwischen Drittweltländern und ehemaligen Kolonialmächten einlösen.

Josef Lang, Nationalrat, Alternative Kanton Zug, Mitglieder der Grünen Fraktion,
Interpellant „Die Schweiz und die Sklaverei“