Bericherstattung in der NZZ über den Vorstoss Schoch/Recher(NZZ, 15.9.05, urs.)
Das war alles nur Vorgeplänkel zu jenem Traktandum, das für die längste und intensivste Debatte sorgte. Es ging um ein vor 19 Monaten eingereichtes, also gut abgehangenes AL-Postulat, dem schliesslich mit hauchdünnem Mehr das Reifezeugnis ausgestellt wurde. Gemäss Postulatstext soll die Stadt Zürich ihre Verflechtung mit dem transatlantischen Sklavenhandel im 18. und 19. Jahrhundert von Historikern aufarbeiten lassen oder schon begonnene Forschungsprojekte zum Thema unterstützen. Diese allzu grosszügige Interpretation des städtischen Pflichtenhefts wurde von der Linken geschlossen mitgetragen, während die bürgerlichen Fraktionen einschliesslich CVP/EVP mit Kopfschütteln reagierten.Postulantin Renate Schoch (al.) hatte ihre vage Forderung mit einer Interpellation unterlegt. Darin folgerte sie, gestützt auf ein Bündel an Rechercheergebnissen, dass Zürich schon damals in das europäische Netz von Handelsbeziehungen und somit in das Problem der Sklaverei involviert gewesen sei. Es gelte die von weiten Bevölkerungskreisen geteilte "offizielle Lehrmeinung" zu revidieren, gemäss der unsere Ahnen diesbezüglich über eine reine Weste verfügt hätten. Anja Recher (al.), die ihre nicht mehr im Rat wirkende Parteikollegin vertrat, legte sich mächtig in die Riemen. Geschichtslehrer Kurt Maeder (cvp.) liess sich hierdurch nicht davon abhalten, mit einem etwas langfädigen historischen Proseminar das Anliegen zu zerpflücken, wohingegen Berufskollege Werner Sieg (sp.) den Vorstoss unter seine Fittiche nahm: Wenn die Stadt in archäologischen Bereichen forschen lasse, die niemanden interessierten, stünde es ihr gut an, auch in die Aufarbeitung der Neuzeit zu investieren.
Für solche Unterfangen gibt es auf Bundesebene genügend Instrumente und Gefässe. Stadtpräsident Elmar Ledergerbers Einwand, das Finanzieren solcher Forschungsprojekte gehöre nicht zu den Aufgaben der Stadt, traf den Nagel auf den Kopf. Doch seine Genossinnen und Genossen im Schlepptau der Grünen und Alternativen liessen sich nicht von ihrem Durst nach wissenschaftlicher Erkenntnis abbringen, zumal sie Parallelen zur Aufarbeitung der helvetischen Rolle im Nationalsozialismus witterten. 60 zu 60 lautete das Stimmenverhältnis schliesslich, so dass es Ratspräsident Peter Stähli (sp.) vorbehalten blieb, dem Vorstoss per Stichentscheid zum Durchbruch zu verhelfen. Niklaus Scherr (al.) hatte übrigens früher am Abend vorgeschlagen, das EWZ-Sponsoring auf Lehrstühle auszuweiten. Ob er nun darüber nachdenkt, wie sich diese Idee mit dem Wunsch nach Forschung zum Sklavenhandel verquicken liesse? Sei's drum. So verquer das Anliegen der Postulantin und ihrer Mitstreiter aus ordnungspolitischer Sicht auch ist, muss man ihnen eines zugute halten: Sie haben gestern Abend die einzige Debatte angezettelt, die - trotz Niveau-Schwankungen - diese Bezeichnung verdient.