Neue Zürcher Zeitung, 04.02.2006, Nr. 29, S. 11

Politische Literatur

ach Christen A.
Am Elend mitverdient
Beteiligung von Schweizern am transatlantischen Sklavenhandel

ach. Die an der Universität Lausanne tätigen Wirtschafts- und Sozialhistoriker Thomas David, Bouda Etemad und Janick Marina Schaufelbuehl haben ihrer Studie über die Beteiligung von Schweizern am transatlantischen Sklavenhandel den Titel "La Suisse et l'esclavage des Noirs" gegeben. Die Unschärfe - von welcher Schweiz ist da die Rede? - korrigieren sie gleich selber, indem sie darauf hinweisen, dass "die" Schweiz, das heisst in erster Linie die Dreizehn Alten Orte, keine Sklavenhändlernation wie etwa Portugal, Frankreich oder Grossbritannien war und dass sich ab 1848 die Regierung des Bundesstaats nur ganz selten mit der Sklaverei zu befassen hatte. Die Beteiligung am Sklavenhandel war vielmehr Sache von einzelnen Schweizern oder Bürgern von Gegenden, die später zur Schweiz kamen.

Eine Möglichkeit zur Diversifizierung

David, Etemad und Schaufelbuehl unterscheiden drei Typen von Schweizer Geschäftsleuten, die am transatlantischen Sklavenhandel direkt oder indirekt beteiligt waren: Fabrikanten und Händler, die von ihrer Heimat aus Waren zur Ausrüstung von Sklavenschiffen oder zum Eintausch gegen Sklaven lieferten; ausgewanderte Textilarbeiter und Händler, die am Ort ihrer Absatzmärkte, vor allem in französischen Hafenstädten, produzierten und sich gelegentlich direkt an Sklavereiexpeditionen beteiligten, sowie Kaufleute und Financiers, für die der Sklavenhandel eine Möglichkeit zur Diversifizierung bot. Ein eigenes Kapitel widmen David, Etemad und Schaufelbuehl jenen Schweizern, die als Sklaven haltende Plantagenbesitzer und Kaufleute sowie als Beamte und Söldner im Dienst der britischen, niederländischen und französischen Kolonialbehörden tätig waren.
Die Autoren der Studie bilanzieren die direkte Beteiligung von Schweizern am transatlantischen Sklavenhandel vorsichtig. Sie weisen darauf hin, dass diese Beteiligung erst spät, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, begann und nur ein halbes Jahrhundert dauerte. Die Schweizer seien in den meisten Fällen "Gelegenheitshändler" gewesen, bei denen der Sklavenhandel nur einen begrenzten Teil der Geschäfte gebildet habe. Als bedeutsamer - und auch lukrativer - stellen David, Etemad und Schaufelbuehl die Lieferung von Tauschfracht für die Sklavenschiffe, vor allem von bedruckten Baumwollstoffen, heraus. Einige wenige Firmen wie die Basler Firma Burckhardt betrieben beide Geschäfte, die Lieferung von Tauschgütern wie auch die direkte Beteiligung an Sklavenexpeditionen. Die Autoren schätzen, dass insgesamt 172 000 Schwarze oder 1,5 Prozent der 11 bis 12 Millionen "transatlantischen" Sklaven unter Schweizer Beteiligung von Afrika nach Amerika verfrachtet wurden.

Wandel in der Wertung

Auf Deutsch ist "La Suisse et l'esclavage" unter dem reisserisch klingenden Titel "Schwarze Geschäfte" erschienen. Die damaligen Geschäfte mit Schwarzen waren aber keine schwarzen - heimlichen - Geschäfte, sondern fanden in aller Öffentlichkeit statt. Sie galten zwar als geschäftlich riskant, waren aber nach Massgabe des damaligen Rechtsverständnisses legal. David, Etemad und Schaufelbuehl hüten sich davor, ihr eigenes moralisches Empfinden in die Vergangenheit zu projizieren und die Schweizer Beteiligung am Sklavenhandel als moralisch verabscheuungswürdig zu charakterisieren. Vielmehr zeigen sie, dass Schweizer auch einen gewissen Anteil am Wandel hatten, der in der moralischen und rechtlichen Wertung der Sklaverei seit der Zeit, da diese eine universelle Praxis war, eingetreten ist. Laut den Autoren waren es bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts erst Einzelne und aufklärerisch gesinnte Intellektuellenzirkel, die sich gegen die Sklaverei wandten. Von einer breiten Bewegung gegen die Sklaverei und den Sklavenhandel könne erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gesprochen werden.

Wiedergutmachung?

Im Unterschied zu den Lausanner Sozialhistorikern lässt der Appenzeller Mittelschullehrer Hans Fässler, der sich selber gerne als "Hobbyhistoriker" karikiert, seiner Empörung über die Schweizer Beteiligung "am Menschheitsverbrechen Sklaverei" freien Lauf. Seine "Reise in Schwarz-Weiss" ist ein brillantes Pamphlet, das der Aufarbeitung der Vergangenheit und der Wiedergutmachung den Weg ebnen soll. Als Einstieg in seine Geschichten über die Geschäfte von Schweizern mit Sklaven wählt Fässler fast durchwegs ein im Präsens erzähltes Feature, entweder eine Beschreibung des Ortes, von dem die inkriminierten Schweizer stammen, eine zum Drehbuchfragment verdichtete fiktive Szenenfolge oder eine Abhandlung über die Bedeutung eines im Sklavenhandel verwendeten Tauschguts. Damit baut der Autor historische Distanz ab, was der Lektüre Spannung verleiht und gleichzeitig dem pädagogischen Zweck dient, die Vergangenheit so eng an die Gegenwart heranzurücken, dass sie in deren Verantwortung fällt.
Bloss stellt dabei der Moralist Fässler dem Historiker in ihm gelegentlich ein Bein, etwa wenn er seine Hauptthese, es gebe eine heute durch Wiedergutmachung zu tilgende schweizerische Mitschuld am Sklavenhandel, zu begründen versucht - wenn er gegen jene wettert, die auf Legalität und Akzeptanz der Sklaverei in vergangenen Jahrhunderten aufmerksam machen und folglich eine Mitschuld der heutigen Nachfahren von Sklavenhändlern in Abrede stellen.

Langer Weg zum universalen Verbot

Dabei behauptet Fässler, schon der Wiener Kongress habe 1815 den Sklavenhandel für völkerrechtswidrig erklärt. Hätte er die "Déclaration des Puissances sur l'abolition de la traite des Nègres du 8 Février 1815" wirklich gelesen, hätte er sofort bemerkt, dass die damals in Wien versammelten Bevollmächtigten europäischer Mächte nur Kenntnis genommen haben von den Ansichten "des hommes justes et éclairés", wonach die Sklaverei der Menschlichkeit und der universellen Moral widerspricht. Die Bevollmächtigten erklären zwar die Abschaffung des Sklavenhandels (nicht der Sklavenhaltung) zu einem noblen Ziel, überlassen es aber gleichzeitig jeder einzelnen am Kongress beteiligten europäischen Macht, nach ihrem eigenen Gutdünken den Zeitpunkt für diese Abschaffung zu bestimmen. Über den Zeitpunkt, da dieser "commerce" generell und universell eingestellt werde, solle zwischen den Mächten verhandelt werden. Tatsächlich hat es dann noch mehr als ein Jahrhundert gedauert, bis das Verbot der Sklaverei (Handel und Haltung von Sklaven) eine völkerrechtliche Norm wurde, die von der Staatenwelt in deren Gesamtheit angenommen und als zwingend - nicht abwandlungsfähig - anerkannt wurde. Von der universellen Akzeptanz des Sklaverei- und des Sklavenhandelsverbots zeugt unter anderem der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte aus dem Jahr 1966.

Thomas David, Bouda Etemad, Janick Marina Schaufelbuehl: Schwarze Geschäfte. Die Beteiligung von Schweizern an Sklaverei und Sklavenhandel im 18. und 19. Jahrhundert. Limmat-Verlag, Zürich 2005. 199 S., Fr. 34.-.

Hans Fässler: Reise in Schwarz-Weiss. Schweizer Ortstermine in Sachen Sklaverei. Rotpunktverlag, Zürich 2005. 337 S., Fr. 36.-.