"Nur junge, kräftige Neger" 

Einige Schweizer Familien schlugen aus dem Sklavenhandel ordentlich Profit

Thomas David u. a.: Schwarze Geschäfte. Die Beteiligung von Schweizern an Sklaverei und Sklavenhandel im 18. und 19. Jahrhundert. Limmat-Verlag, Zürich 2005. 200 Seiten, Fr. 34.-. 
Hans Fässler: Reise in Schwarz-Weiss. Schweizer Ortstermine in Sachen Sklaverei. Rotpunktverlag, Zürich 2005. 337 Seiten, Fr. 36.-.
 
Von Ina Boesch 

In Nantes will die Stadtverwaltung für rund zehn Millionen Franken ein Denkmal errichten, das an den Befreiungskampf der Sklaven erinnern soll. In anderen europäischen Städten wie Liverpool, Lancaster, Bristol oder Amsterdam mahnen bereits seit einigen Jahren Monumente an das düstere Kapitel Kolonialgeschichte. In der Schweiz hingegen wird wohl kaum je ein derartiges Mahnmal aufgestellt werden. Wahrscheinlicher ist die Entfernung von Büsten, zum Beispiel der Statue von David de Pury am Ufer des Neuenburgersees. Seit einiger Zeit stören sich nämlich wache Zeitgenossen daran, dass damit ein Mann geehrt wird, der zwar ein grosszügiger Mäzen war, doch sein Vermögen seinen Verwicklungen in die Sklaverei verdankte.

David de Pury ist nur einer von unzähligen Financiers, Kaufleuten, Offizieren oder Verwaltern, die am schwarzen Geschäft beteiligt waren. Während der rund 450-jährigen Geschichte der Sklaverei waren unzählige Schweizer Bürger im globalen Ausbeutungssystem aktiv: Zum Beispiel so geachtete Bürger wie der Händler Johann Jacob Gsell aus St. Gallen, der Sklaven besass; zum Beispiel Familienbetriebe wie das Basler Handelshaus Burckhardt, das sich an der Ausrüstung eines Sklavenschiffs beteiligte; zum Beispiel der Staat Bern, Grossaktionär der South Sea Company, welche in Afrika Sklaven kaufte und diese nach Lateinamerika verschiffte, wo sie an Plantagenbesitzer gegen andere Ware getauscht wurden; zum Beispiel die Manufaktur Favre-Petitpierre, die in ebenjenem Nantes, das heute ein Denkmal zur Erinnerung an das erste globale Verbrechen gegen die Menschlichkeit errichten will, die begehrten Baumwollstoffe namens Indiennes als Tauschware gegen Sklaven produzierte.

Das sind einige der Akteure im düsteren Kapitel Schweizer Geschichte, das sich von der dunklen Vergangenheit der europäischen Kolonialmächte in einigen Punkten unterscheidet: Es waren Einzelpersonen oder Familien, die Profit aus dem Geschäft mit der Ware Mensch schlugen, und nicht der Staat, der die Sklaverei als Teil nationaler Kolonialpolitik betrieb. Und in nur einem Fall belegen die Quellen die direkte Beteiligung eines Schweizers am Menschenhandel: Der Basler Kaufmann Johann Jakob Hoffmann, der mit Isaak Faesch einen schwunghaften Handel mit Kolonialprodukten betrieb, betätigte sich auch als Sklavenhändler und riet seinen Geschäftspartnern, "nur junge, kräftige Neger mit hübschen Gesichtern" einzukaufen. Doch die Schweiz war schon damals kein Sonderfall: Da sie bereits vor Jahrhunderten Teil Europas war und ihre Bürger internationale (Finanz-)Beziehungen pflegten, beteiligte sie sich zwangsläufig auch an der Sklaverei - einem kapitalintensiven und risikoreichen Unternehmen, einem Geschäft unter vielen Geschäften. Die Einbindung in Europa zeigt sich noch in einem zweiten Bereich, nämlich an der hellen Seite des düsteren Kapitels. Parallel zur Verwicklung von Schweizer Händlern und Investoren in das transatlantische Dreiecksgeschäft engagierten sich Schweizer Männer (und Frauen!) auch in internationalen Bewegungen zur Abschaffung der Sklaverei.

Diese Fakten kann man gleich in zwei neuen Büchern zum Thema Schweiz und Sklaverei nachlesen. Das eine stammt vom Gymnasiallehrer und Kabarettisten Hans Fässler, dessen kämpferischem Geist zu verdanken ist, dass das bisher wenig bekannte Thema Schweiz und Sklaverei in den letzten Jahren ein breiteres Publikum gefunden und sogar den Bundesrat beschäftigt hat. Er führt den Leser, die Leserin in einer journalistisch aufbereiteten "Reise in Schwarz-Weiss" an neunzehn verschiedene Orte zwischen Bodensee und Genfersee, zu Persönlichkeiten und Örtlichkeiten, die in irgendeiner Verbindung zur Sklaverei stehen. Die Fülle von Fakten und Namen machen den originellen Reiseführer zu einem reichhaltigen Kompendium in Sachen Schweiz und Sklaverei, doch die geographischen und zeitlichen Sprünge stören zuweilen den Lesefluss. Die andere Publikation haben drei Historiker der Universität Lausanne geschrieben: Thomas David, Bouda Etemad und Janick Marina Schaufelbuehl arbeiten teilweise mit denselben Quellen wie Fässler, präsentieren aber im Gegensatz zu dessen Streitschrift mit "Schwarze Geschäfte" eine wissenschaftliche, jedoch leicht lesbare Studie. Besonders aufschlussreich ist ihre Analyse der abolitionistischen Bewegung, die sich - ähnlich wie bei den Profiteuren der Sklaverei - vorwiegend aus Protestanten zusammensetzte, die in internationale Netzwerke eingebunden waren. Ihr Kampf gegen die Sklaverei war eigentlich ein Kampf gegen den moralischen Zerfall der Gesellschaft, weshalb sie im Abolitionismus vor allem eine Plattform sahen, um ihre politischen Forderungen im eigenen Land vorzubringen.

Die beiden Publikationen reihen sich ein in eine Tendenz in der Geschichtswissenschaft, sich mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu befassen, aktuell eben mit der Sklaverei. Der Memory-Boom hat die Schweiz erfasst. Damit zeigt sich auch hier: Die Schweiz ist definitiv kein Sonderfall.