Wiedergutmachungs-Karussell
Antwort auf Leserbrief: "Kulturgüter, Sklaven, Wendehälse", 9.5.06
Ab Mitte der Neunzigerjahre geriet die Schweiz unter Beschuss von Organisationen, Politikern und Historikern, hauptsächlich aus Amerika. Bestimmt erinnern sich noch viele Mitbürger daran, wie die Generation unserer Väter mit Vorwürfen eingedeckt wurde, mit Behauptungen betreffend allgemeinem üblem Fehlverhalten während des Zweiten Weltkriegs.
Wir wurden der Kollaboration mit den Nazis, der Mitschuld am Holocaust, der Hehlerei und Profitgier, der Misshandlung von Flüchtlingen, gar der Verlängerung des Krieges und anderem mehr bezichtigt, was rund um die Welt verbreitet wurde. Mit Büchern, Kurzfilmen und Artikeln wurden wir aufs Schwerste verleumdet. Schliesslich hat sich die Schweiz gefügig gezeigt, sich entschuldigt und massive Forderungen bezahlt, worauf Ruhe einkehrte.
Ein knappes Dezennium der Ruhe ist nun genug, mag sich Hans Fässler gesagt haben. Er fand neuen Stoff für Anklagen. So soll die Schweiz vor 300 Jahren mitschuldig geworden sein am Kolonialismus mit Sklaverei und Rassismus und von diesem Menschheitsverbrechen hätten wir ebenfalls profitiert, schreibt er. Durch unsere Mitschuld hätten wir den afrikanischen, karibischen und anderen Völkern unzählige Menschen, Lebenschancen und Milliarden von Arbeitsstunden geraubt.
Bezug nehmend auf den Kulturgüterstreit zwischen St.Gallen und Zürich fragt der Autor nach unserer Reaktion, wenn nun schwarze Historiker und Leserbriefschreiber auch auf Wiedergutmachung pochen würden, da wir doch von obgenannten Menschheitsverbrechen profitiert haben. Er sieht voraus, es könnte dann bei uns heissen, vollständig sei eine Rückgabe nicht möglich, weil aus juristischen und administrativen Gründen zu kompliziert. Woraus er schliesst, dass sich dann "der alte Rassismus und die postkoloniale Machtpolitik" hier wieder breit machen wollten.
Hans Fässler vergisst zu erwähnen, dass die Schweiz, zusammen mit der ganzen westlichen Welt seit Jahrzehnten Milliarden von Entwicklungshilfe leistet, was als Teil der Wiedergutmachung gelten könnte. Nicht inbegriffen wäre damit allerdings der Raub der Menschen und ihrer Arbeitsstunden. Hier übersieht der Autor die naheliegendste Lösung: Im Zuge einer Wiedergutmachung dürfte man diese Menschen, die zu Zehntausenden bei uns leben, natürlich nicht unberücksichtig lassen, sondern müsste sie ihren Ländern zurückgeben, wo sie dann endlich die Arbeitsstunden erbringen und mithelfen würden, ihre Länder aus eigener Kraft vorwärts zu bringen.
Mit alledem hätten wir dann unsere neu entdeckte Schuld an Menschheitsverbrechen getilgt, bis ein neuer Schandfleck gefunden wird.
Evelyn Küffer
Georgshof 26
9000 St.Gallen