HISTORISCHE GERECHTIGKEIT WIRD GLOBAL SEIN ODER SIE WIRD NICHT SEIN

"Globalisierung" kommt von "Globus". Der St.Galler Erd- und Himmelsglobus, der nach 294 Jahren von Zürich nach St.Gallen zurückkehrt, ist nicht irgendein Gegenstand. Sein hohes Ansehen beim Käufer Bernhard II. Müller, beim ursprünglichen Besitzer Kloster St.Gallen, bei den Räubern aus Zürich sowie bei den Nachkommen der Täter und Opfer an Steinach und Limmat kommt nicht von ungefähr. Seit dem 16. Jahrhundert sind Globen gleichzeitig Symbol und Instrument des europäischen Ausgriffes auf die Welt. Der Globus steht für die "die permanente Offensive der Entdeckungen, Eroberungen, Erschliessungen und Benennungen, mit denen sich die vorrückenden Europäer, maritim und terran, im universalen Aussen etablieren." [Peter Sloterdijk, Im Weltinnenraum des Kapitals, 2005]

Aus einem zweiten, noch wichtigeren  Grund hat der St.Galler Globus globale Bedeutung. Der Kulturgüterstreit zwischen St.Gallen und Zürich ist geradezu ein Schulbeispiel, wie man mit historischem Unrecht umgehen kann, das zeitlich weit zurückliegt. Versöhnung zwischen Konfliktparteien bedingt eine Aufarbeitung der historischen Fakten, eine Analyse der staats- und völkerrechtlichen Dimensionen und einen Verhandlungsprozess, der zu einem symbolischen und materiellen Akt der Wiedergutmachung führt. Oder, wie es der nigerianische Nobelpreisträger Wole Soyinka treffend verkürzt hat: "Truth, reparation, reconciliation." [The Burden of Memory, the Muse of Forgiveness, 1999]

Seit Jahrhunderten fordern die Nachkommen der Opfer von Sklaverei und Sklavenhandel gegenüber Europa und den USA Wiedergutmachung für eines der grössten historischen Verbrechen der neueren Geschichte, und gemäss neuesten Forschungsergebnissen gab es auch eine schweizerische Beteiligung an diesem epochalen Unrecht. Den aus Afrika verschleppten rund 15 Millionen Menschen sind im 16.-–19. Jahrhundert nicht Handschriften und auch kein Globus geraubt worden, sondern Milliarden von Arbeitsstunden, Millionen von Lebenschancen und jene menschliche Würde, die sich nicht quantifizieren lässt. Seit den Konferenzen von Abuja (1993), Accra (1999) und Durban (2001) liegen wohl begründete und präzis formulierte Forderungen nach Restitution für die Sklaverei auf dem Tisch der Weltgemeinschaft – und der Schweiz. Sie haben ebenso das Recht, ernst genommen zu werden, wie die Forderung St.Gallens nach der Restitution einiger Handschriften und eines Globus.

Aktion "Gerechtigkeit für den Globus – Justice for the Globe – Justice pour le globe"
c/o Hans Fässler, Cunzstrasse 31, 9016 St.Gallen, www.louverture.ch