Die Schweizer Sklaven

Namhafte Unternehmer und Politiker beteiligten sich bis ins 20. Jahrhundert hinein an der Ausbeutung von Sklaven, wie der Historiker Hans Fässler faktenreich dokumentiert. Ein weiterer Schritt in einer überfälligen Aufarbeitung.

Das «Schweizer Lexikon» nennt Auguste Forel einen «Apostel der Wahrheit». Am Haupteingang der Universität Zürich erinnert eine Büste an den Waadtländer Biologen, Psychologen, Darwinisten, Neurologen, Ameisenforscher und Sozialreformer. In Lausanne ist eine Strasse nach ihm benannt. Zudem schaffte es der einstige Direktor der Nervenheilanstalt Burghölzli auf die alte Schweizer Hunderternote, die «Ameise».
So viel Ehre wäre Forel (1848-1931) neidlos zu gönnen, hätte er nicht Gedankengut wie dieses verbreitet: «Welche Rassen sind für die Weiterentwicklung der Menschheit brauchbar, welche nicht? Und wenn die niedrigsten Rassen unbrauchbar sind, wie soll man sie ausmerzen?»
Das Zitat ist nicht im «Schweizer Lexikon» nachzulesen, dafür in Hans Fässlers Buch «Reise in Schwarz-Weiss». Darin befördert der Sankt-Galler Historiker und Kabarettist ein Stück verdrängte Schweizer Geschichte ans Tageslicht: Die Beteiligung der Schweiz an der transatlantischen Sklaverei zwischen 1614 und 1888. Darunter versteht Fässler «all jene privaten, geschäftlichen, wissenschaftlichen oder publizistischen Tätigkeiten, welche Profite aus der Sklaverei oder dem Sklavenhandel anstrebten oder welche mithalfen, die Sklaverei als Institution zu ermöglichen.»

Forel, der einst notierte, dass man «aus den Negern keine Kulturrasse» machen könne, gehört dabei «nur» zu den ideologischen Verfechtern der Sklaverei. An vorderster Front stand seinerzeit eine ganze Reihe prominenter Schweizer Familien, Unternehmen, Bankiers, Söldner, Offiziere und Politiker, die sich die Sklaverei in Südamerika, der Karibik und den USA zu Nutze machten. Das Waadtländer Unternehmen Illens et Van Berchen rüstete in Marseille Sklaven schiffe aus. Die Genfer Bankhäuser Thellusson et Necker und Cottin unterstützten im 18. Jahrhundert den Handel mit Sklaven aus Afrika. Die Basler Familie Faesch besass in Surinam Plantagen mit «Negersklaven»: Der Zellweger-Klan aus Appenzell betrieb einen blühenden Importhandel mit «schwarzer» Baumwolle aus brasilianischer Produktion. Und der Bankier Fritz Alphonse Bauer schrieb 1905 über die Bewohner des Kongos: «Sie sind weder Menschen noch Tiere, und sie ekeln mich an. Ferner sind sie Diebe, Lügner und Mörder, alle, und ich schone sie nicht, ausser meine eigenen Arbeiter.»

Folgt nun, nach Nazigold-Skandal und Komplizenschaft mit dem Apartheidregime in Südafrika, ein drittes Kapitel, das den Mythos der tadellosen Schweiz vom Sockel zerrt? «Nicht das dritte Kapitel», meint der haitische Generalkonsul Florville Hyppolite im Vorwort von «Reise in Schwarz-Weiss», «sondern das erste.»

Bundesrat reagiert distanziert
Vor zwei Jahren gelangte die Sankt-Galler Nationalrätin Pia Hollenstein mit einer Interpellation zum Thema «Schweizer Beteiligung an der Sklaverei» an den Bundesrat. Er reagierte distanziert: «Die Schweiz war nie eine Kolonialmacht. Trotzdem waren verschiedene Schweizer Bürger am transatlantischen Sklavenhandel beteiligt, was der Bundesrat aus heutiger Perspektive bedauert», heisst es in der Stellungnahme.

Fäsler geht es in seinem Buch nicht um Rechtfertigung, sondern um die Aufarbeitung eines Unrechts. Bei Recherchen zu einem Kabarettprogramm stiess er auf Quellen, welche belegten, dass Schweizer Familien im 18. Jahrhundert Plantagen mit "Negersklaven" unterhielten. Fässler wurde neugierig, das Material häufte sich zu einem Buch. Darin lotst uns der Autor mit didaktischem Gespür und sprachlicher Lockerheit durch ein Stück zensierte Schweizer Geschichte. Die engagierte und zuweilen pointierte Schreibe verrät nicht nur den Historiker, sondern auch den Pädagogen, Politiker und Kabarettisten. Seine Recherchen sind präzis, das Beweismaterial belastend.

Keine Alternativen
Man muss kein Landesverräter sein, um zu erkennen, dass der Wohlstand der industriellen Schweiz nicht möglich gewesen wäre ohne Beteiligung an der Sklaverei. Zwar ist es richtig, dass es bis zur Abolition der US-Sklaverei im Jahr 1865 keine Alternativen gab, Baumwolle aus "sklavenfreier" Produktion zu beziehen. Und wie bereits Karl Marx bemerkte: «Ohne Sklaverei keine Baumwolle, ohne Baumwolle keine Industrialisierung.» Trotzdem machte sich die Schweiz mitschuldig an der Versklavung Afrikas, die 2001 von der Uno zum «Verbrechen an der Menschheit» erklärt wurde. Nun drängt sich die Frage der Wiedergutmachung auf.

«Eine schnelle Entschuldigung ist meines Erachtens nicht der richtige Weg», meint Fässler. «Dazu ist ein längerer Prozess notwendig. Erst dann ist eine würdige Geste der Entschuldigung angebracht. Wie sie ausfallen und an wessen Adresse sie sich richten soll, darüber muss noch nachgedacht werden.»

Frank Heer