Weltwoche vom 2. März 2006:

Hans Fässler –– Der "Kabarettist, Lehrer und Hobbyhistoriker" (Fässler über Fässler) aus St.Gallen hat nach Holocaust und Apartheid einen neuen Schandfleck in der Schweizer Geschichte entdeckt. Ein von Pro Helvetia mitfinanziertes Buch des Linksaktivisten zu diesem Thema ("Reise in Schwarz-Weiss"), das explizit keinen Anspruch auf "sachliche Unparteilichkeit" erhebt, war bereits bei seiner Entstehung ein Politikum. Ohne Erfolg versuchten damals bürgerliche Politiker, zusätzliche Werkbeiträge durch Stadt und Kanton St.Gallen zu verhindern. Doch das war nur der Anfang. Kürzlich forderte Fässler Nationalrat Toni Brunner (SVP) ultimativ per E-Mail auf, sich an einer Debatte um die Beteiligung einzelner Schweizer (oder genauer: Eidgenossen) an der Sklaverei zu stellen. "Eine Weigerung der SVP, sich an einem solchen Podium zu beteiligen", so drohte Fässler, "würde ich allenfalls via die regionalen und nationalen Medien verbreiten, welche mein Buch ausserordentlich psotiiv aufgenommen haben und zu denen ich gute Kontakte habe (auch Radio und Fernsehen)." Toni Brunner liess sich nicht beeindrucken: Die Sklaverei sei für ihn kein Thema, liess er ausrichten, seiner Partei sei es lediglich um die Finanzierung des Buches gegangen. Fässler geisselte die "Gesprächsverweigerung" umgehend mit einem Rundschreiben, das von der regionalen Presse aufgenommen wurde. (axb)

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E-Mail Hans Fässler vom 4. März 2006:

"Aber ich habe es nur durchgeblättert."
(FDP-Kantonsrat und Kantonalpräsident Marc Mächler, 
dezidierter Kritiker eines Beitrags an "Reise in Schwarz-Weiss")

Sehr geehrter Herr Baur

Habe mich ziemlich amüsiert über die Nachbarschaft mit Mia Farrow, Salman Khan und Genosse Fehr. Nachdem Sie nun in der Tradition der St.Galler FDP und SVP getreulich nur das Drum und Dran bzw. die Nicht-Debatte abgehandelt haben, würde es mich freuen, wenn die Weltwoche nun auch noch den Inhalt des Buches anschauen würde. 

Als Hobbyhistoriker habe ich mich selber übrigens nie bezeichnet (wie die NZZ geschrieben hat und Sie dort vielleicht abgeschrieben haben), sondern als Teilzeithistoriker. Das ist nicht das Gleiche.

Wann nimmt die "Weltwoche" die Debatte auf? Die historische Forschung in der Schweiz und jenseits der Schweizer Grenzen hat sie längst aufgenommen.


Mit freundlichen Grüssen
Hans Fässler

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E-Mail-Antwort von Alex Baur vom 7. März 2006:

Sehr geehrter Hr. Fässler 
 
Besten Dank für Ihre erfrischende Zuschrift. Es freut mich natürlich, wenn sich mal jemand aus dem linken Lager über eine Notiz von mir in der Weltwoche freut (meistens bekomme ich von jener Seite ja nur Schelte, an der ich mich gelegentlich auch erfreue).
 
Nun ja, Spass beiseite. Sie ersuchen mich um eine Stellungnahme zur Frage, warum ich mich als Journalist explizit nicht mit ihrem Buch auseinandersetzen will. Ich habe mir das Werk schon vor längeren Zeit beschafft und zu Gemüte geführt - d.h., auch ich habe das Buch nach der Einleitung nur noch passagenweise gelesen. Es hat ein paar interessante und auch süffig geschriebene Aspekte drin – doch das Thema „Sklaverei“ hat für mich keinerlei Priorität und auch keine besondere Relevanz; für eine Schweizer Debatte scheint es mir sogar völlig ungeeignet. Denn die Bezüge, die Sie herstellen, scheinen mir schlicht und einfach konstruiert, ja an den Haaren herbeigezogen.
 
Wie Sie selber im Vorwort schreiben, gab es zur Zeit der grossen transatlantischen Sklaverei die Schweiz noch nicht (bzw. war sie am entstehen), und selbst die Orte der alten Eidgenossenschaft waren nicht an der Sklaverei beteiligt - so what (Sie halten sich gleichsam an eine aus der Politik bekannte Devise: „Was ich gleich sagen werde oder eben gesagt habe, will ich nicht so verstanden wissen, wie es gemeint ist“). Es geht also um das Verhalten einzelner, und ich stelle die „Gegenfrage“: Würde irgendein vernünftiger Mensch die These aufstellen, kein Eidgenosse oder Schweizer hätte je an der Sklaverei teilgenommen? (Leibeigenschaft gab es im übrigen auch und gerade bei den alten Eidgenossen). Man kann offenbar auch nicht von einem Massenphänomen sprechen, und ein Max Haavelar-Gütesiegel, an dem sich der politisch korrekte Zeitgenosse hätte orientieren bzw. an dem er sklavengefertigte Baumwolle und Schoggi allenfalls als solche hätte erkennen können, gab es damals leider auch noch nicht. Und wenn sich Zeitzeugen und Chronisten nicht gebührend empörten, wie Sie mit steil erhobenem Zeigefinger tadeln, sondern ungerührt beschrieben, was sie sahen (oder vielleicht auch dachten und empfanden), so gibt dies in erster Linie einen wertvollen Einblick in den Zeitgeist. Auch hier treiben Sie eine Unsitte auf die Spitze, die seit ein paar Jahren in Mode ist und die mich extrem nervt: Sie beurteilen die Menschen ohne Rücksicht auf die Umstände partout nach den heute gültigen moralischen Massstäben. Das ist billig und langweilig.
 
Womit wir bei einem Punkt angelangt sind, der ihrem nach allen Regel der Propaganda (also Manipulation) erstellten (Mach)Werk jede Glaubwürdigkeit raubt: es geht Ihnen offenkundig gar nicht darum, den Geist jener Epoche zu erfassen - unter dem Vorwand der Historieg betreiben Sie in Tat und Wahrheit eine politische Kampagne. Auf solche Verquickungen bin ich extrem allergisch – obwohl und gerade weil das gerade wieder mal Mode ist. Und ich empfinde es als geradewegs skandalös, wenn derartige politisch motivierte Schriften, gleichgültig aus welcher Ecke sie stammen, mit Steuergeldern finanziert werden. Obwohl Sie auch damit im Trend liegen, den die Bergier-Kommission vorgezeichnet hat, disqualifizieren Sie sich damit m.E. selbst „Hobbyhistoriker“ (Immerhin, das halte ich Ihnen zugute, stehen Sie offen dazu: es geht Ihnen in erster Linie um eine moralische Lektion, um Schuldanerkennung – Motto: nach Holocaust und Apartheid jetzt die Sklaverei).
 
Eine (farbige) Peruanerin, mit der ich Ihre These von der „Erbsünde Sklaverei“ kürzlich diskutierte, brachte die Sache vorzüglich auf den Punkt,  "Ihr Schweizer ertragt es einfach nicht, irgendwo nicht massgeblich mitbeteiligt gewesen zu sein - egal ob bei der Olympiade oder bei irgend einer Schandtat". Abgesehen davon, dass es völlig grotesk ist, wenn die Urenkel Genugtuung und Schadenersatz für die an ihren Uranhnen begangenen Unbill verlangen, müsste man dann erst einmal über die Adressaten diskutieren. Wenn Haitianer heute eine Rechnung stellen, dann müssten konsequenterweise vorweg jene afrikanischen Länder zur Kasse gebeten werden, in denen (schwarze) Sklavenjäger den Grundstein zur Tragödie setzten; so betrachtet würde die Elfenbeinküste den USA wohl auch noch ein paar Milliarden schulden (oder betrachten Sie Afrikaner etwa generell als unmündige Menschen, die für ihre Taten keine Verantwortung übernehmen können?  – als einer, der sein halbes Leben in der Dritten Welt verbracht hat, bin ich auch auf diese, bei den Linken leider weit verbreitete Grundhaltung extrem allergisch); die Haitianer ihrerseits könnten den erhaltenen Check dann gleich weiterleiten an die Dominikaner, die im 19. Jahrhundert unter haitianischer Besatzung ein unsägliches Blutbad zu erleiden hatten (was in Ihrem Buch leider verschwiegen wird) usw. usf - und Bundesrat Leugenberger könnten Kollega Berlusconi auch noch gelich eine Rechnung schicken wg. der Sache mit Divico....
 
Na ja, Sie sehen, jetzt haben Sie mich doch noch in Schuss gebracht. Ich bin ebenso wenig oder so sehr Historiker wie Sie, doch Ihre Thesen sind aus meiner Sicht schlicht primitiv. Und obendrein rassistisch. Ihre Welt ist nämlich genau so simpel und „Schwarz-Weiss“ wie jene der Apartheid-Ideologen - einfach mit umgekehrten Vorzeichen: hier die bösen Weissen, dort die guten Schwarzen. Genauso wie ich die notorische Gegenüberstellung „Juden“ versus „Deutsche“ (oder Schweizer) als hochgradig rassistisch empfinde (die meisten Opfer der Shoa dürften sich damals in erster Linie als Deutsche oder Polen oder Tschechen etc. gefühlt haben und höchstens in zweiter Linie als Juden...).
 
Nach dem Vorbild der Bergier-Kommission missbrauchen Sie die Geschichtsschreibung für politische, volkserzieherische und propagandistische Zwecke, die mitunter geradezu religiöse Züge tragen. Ich finde dies widerlich und vor allem extrem behinderlich für die seriöse Geschichtsschreibung, von der ich zumindest ein Bestreben nach Wahrhaftigkeit und Sachlichkeit erwarte (genau so wie ich auch das Gegenstück verwerflich finde, den historisch begründeten Chauvinismus und Hurra-Patriotismus). Ich wüsste nicht, warum ich stolz auf meine Vorfahren sein sollte (ich kann nur Stolz sein auf das, was ich zu verantworten habe – und zu den Taten und Untaten meiner Vorhaben habe ich nichts beigesteuert - etwas anderes ist die Liebe, die ich zu meinen diversen Heimaten sehr wohl empfinde). Ich wüsste aber auch nicht, warum ich (zumal als Atheist) Asche auf mein Haupt streuen und mich an irgendwelchen Ablass-Zahlungen beteiligen sollte.
 
Das ist es, was ich (persönlich notabene – ich spreche nicht im Namen der Redaktion, zumal wir keine einheitliche Doktrin kennen) zu diesem Thema zu sagen hätte - zu wenig, für einen Weltwoche-Artikel.
 
Mit freundlichen Grüssen
Alex Baur

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