Das Recht der Schwächeren

Von Peter Bodenmann

In den Schulen meiner Jugend lernten wir jede Menge katholischer Märtyrerinnen und Märtyrer kennen und verehren; immer waren die Katholiken die Guten, immer die andern die abgrundtief Bösen. Weisse Väter waren mit schnellen Flussbooten auf dem schwarzen Kontinent unterwegs zwecks Bekehrung der Ungläubigen. In den Schulstuben sammelten Nickneger Geld für die Rettung dieser Heiden.

1931 kam Clementine Brantschen in Randa zur Welt, damals war das Wallis ökonomisch vielerorts noch Dritte Welt. Viele Frauen, die in ihrem Leben etwas bewegen wollten, gingen ins Kloster. Die Ursulinenschwester Clementine Brantschen wurde Ende des vergangenen Jahres im südafrikanischen Libode ermordet. Sie hatte während dreissig Jahren Arme und Kranke in Südafrika betreut und gepflegt.

Nach ihrem Tod fiel das Wort "Märtyrerin" selbst in den katholischen Stammlanden nicht, stattdessen beteten die Ursulinen in Südafrika und in ihrem Mutterhaus Brig für die Ermordete und deren Mörder – auf dass der Himmel beiden gnädig sein möge. Der Katholizismus erfindet sich, weit ab von Rom, immer wieder neu.

Im Bundesrat sitzen zurzeit zwei "Südafrikaner": Hans-Rudolf Merz war in Zeiten der Apartheid für die Schmidheinys am Kap der Guten Hoffhung geschäftlich unterwegs, Christoph Blocher verteidigte in der Schweiz mit seiner "Arbeitsgruppe südliches Afrika" die weissen Rassisten. Für ihn war klar: "Der Grundsatz 'Ein Mann, eine Stimme' würde Südafrika ökonomisch und sozial innert küzester Zeit in ein Chaos stürzen." Die Schweiz diente dem Apartheidregime, wie einst den Nazis, als wirtschaftliche Drehscheibe und Stübli für die Nachrichtendienste. Wir verdrängen diese himmeltraurige Vergangenheit, weil Südafrikas Regierung noch keinen Druck von aussen aufbaut. Es wird uns ergehen wie bei den Holocaust-Geldern.

Das Berner Bankhaus Malacrida ging 1720 bankrott, schuld war wie immer in Bern niemand. Eine Dissertation von Nikolaus Linder erzählt die Geschichte dieser Bank und zieht Vergleiche zu den Blasen der New Economy in den Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts: Linder misst der Tatsache, dass der Staat Bern über die Malacrida-Bank an jener South Sea Company beteiligt war, die ihrerseits den Sklavenhandel mitorganisierte, keine grosse Bedeutung zu – der Sklavenhandel sei damals gesellschafflich akzeptiert gewesen und zudem als Zukunftsbranche gefeiert worden.

Den Historiker und Kabarettisten Hans Fässler lässt genau dieses Thema nicht mehr los – in seinem Buch "Reise in Schwarz-Weiss. Schweizer Ortstermine in Sachen Sklaverei" zeichnet er dieses dunkle Stück Geschichte nach: Schweizer Banker profitierten vom Kauf und Verkauf der rechtlosen Ware schwarze Arbeitskraft; Schweizer Soldaten kämpften 1803 auf Haiti an der Seite Frankreichs für die Wiedereinführung der Sklaverei; Schweizer
Familien hielten sich Sklaven auf ihren Plantagen. Reich wurden Ostschweizer Textildynastien wie jene der kunstsinnigen Zellweger.

Damals standen die Kirchen auf der Seite der Sklavenhändler. Heute stehen viele Ordensschwestern und Priester auf der Seite der während Jahrhunderten Entrechteten. Immerhin sie.

Der Autor ist Hotelier in Brig und ehemaliger Präsident der SP Schweiz.