Bieler Tagblatt vom 27.10.2005, Ressort Kultur

Eine Reise in Schwarz-Weiss

Sie wurden ausgebeutet, geschunden, wie Tiere gehandelt: die Sklaven in den Kolonien. Schweizer Unternehmer verdienten mit Sklaverei Vermögen. Hans Fässler hat darüber ein Buch veröffentlicht.
Margrith Widmer, sfd

Diese Geschichte, die in vielen Köpfen das historische Weltbild durcheinander wirbeln wird, hat der Historiker, Kantonsschullehrer und Kabarettist Hans Fässler in 19 Kapiteln minutiös aufgearbeitet. Sie löst Betroffenheit, Empörung und Wut aus.

Kein Hinterland der Sklaverei
Die Geschichte der Schweizer Kaufleute, Bankiers, Financiers, Siedler, Reisenden und Offiziere, zeigt auf, dass der Slogan der antikapitalistischen Bewegungen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts «There is no hinterland» schon für die atlantische Welt der Sklaverei des 18. und 19. Jahrhunderts galt. Das legt der Ur-Urenkel eines Sklaven, Joseph Philippe Antonio, im Vorwort zu «Reise in Schwarzweiss» dar. Der 66-Jährige war 2001 bis 2004 haitianischer Aussenminister in der Regierung Aristide. Und in Haiti begann für Hans Fässler die Spurensuche: Während seiner Arbeit am Kabarettprogramm «Louverture stirbt 1803» zum 200-Jahr-Jubiläum des Kantons St. Gallen stiess er auf St. Galler Familien, die im 18. Jahrhundert Plantagen mit Sklaven besassen. Dass 1803 St. Galler Soldaten auf Haiti für die Wiedereinführung der Sklaverei kämpften, passte nicht in sein Weltbild. Aus der Irritation wurde Neugier: Fässler begann, Material zu den Schweizer Beziehungen zur Sklaverei zu sammeln. Bald war klar: Was der Schweizer Menschenrechtsvertreter bei der UNO auf die in Durban formulierten afrikanischen Entschädigungsforderungen an die Adresse Europas erklärt hatte stimmte nicht. Er hatte behauptet, die Schweiz habe «mit Sklaverei, Sklavenhandel und Kolonialismus nicht zu tun gehabt.»

Profite gemacht
Vielmehr war nicht nur das ökonomische Kapital aus den Sklavereibeziehungen - die Profite aus Handel, Versicherung, Bankgeschäften und Investitionen - in den Reichtum der modernen Schweiz eingegangen, sondern auch das kulturelle Kapital, die Bildung, Weltläufigkeit und das Soziale, die Beziehungsnetze. Dabei ging es um Dreieckshandelsexpeditionen, Versicherungsgeschäfte, Investitionen in Kolonialgesellschaften und Sklavenhandel, Spekulation mit Sklavereiproduzierten Gütern, Besitz von Plantagen mit versklavten Arbeitskräften und Teilnahme an militärischen Operationen zur Sicherung von Kolonien und Sklaverei.
Sklaverei war ein komplexes Wirtschaftssystem, das den ganzen Atlantik umspannte. Der karibische Historiker Eric Williams argumentierte am Beispiel Englands, der Sklavenhandel habe durch seine Profite, Kenntnisse und Techniken die Entwicklung im 18. und 19. Jahrhundert wesentlich geprägt und die industrielle Revolution erst ermöglicht. Auf die Schweiz übertragen heisst dies, dass die Schweiz allgemein an jenem Aufschwung von Produktion und Handel teilhaben konnte, der wesentlich auf der atlantischen Sklavereiwirtschaft beruhte. Im 18. Jahrhundert importierte die Schweiz sogar mehr von Sklaven produzierte Baumwolle als England.

Von Rorschach bis Genf
Die leichten, bunt bedruckten Baumwollgewebe, die «Indiennes», aus der Schweiz waren bei den schwarzen Sklavenhändlern der afrikanischen Küstenstaaten so beliebt, dass sie dort als Rechnungseinheit galten. In Rorschach, Trogen, St. Gallen, Näfels, Bürglen, Bäretswil, Neuhausen, Basel, Fieschertal, Hasle-Rüegsau, Bern, Les Verrières, Marin-Epagnier, Neuchâtel, Vevey, Genf, Morges und Bussigny-près-Lausanne hat Hans Fässler Schweizer Investoren, Sklavenbesitzer, Sklavenhändler und Soldaten gefunden, die Sklavenrevolten niederschlugen.
Info: Hans Fässler «Reise in Schwarzweiss» Rotpunktverlag, Zürich, 2005.

Hans Fässler
Hans Fässler, geb. 1954 in St. Gallen, ist Kabarettist und Mittelschullehrer. Seit 1980 verschiedene Ein-Mann-Kabarettprogramme, zuletzt 2003. Verschiedene politische Aktivitäten: in der SP St. Gallen, in der Anti-Apartheid-Bewegung, in der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee und im Verein Gerechtigkeit für Paul Grüninger, den er mitbegründete. Lebt in St. Gallen. (mt)