Zur Pressekonferenz "Kulturgüterstreit SG–ZH, die Schweiz und die Wiedergutmachung der Sklaverei" vom 19. Oktober 2006 in Bern

SPERRFRIST HEUTE 15.00 UHR

Fragebogen zum Thema "Kulturgüterstreit und Wiedergutmachung"

Befragt wurden:
- st.gallische Mitglieder des Nationalrats (Bernhardsgrütter, Bigger, Brunner, Büchler, Fässler-Osterwalder, Hutter, Meier-Schatz, Müller, Pfister, Rechsteiner, Walker, Zeller)
- st.gallische Mitglieder des Ständerats (Eugen, Forster-Vannini)
- Partei- und FraktionspräsidentInnen des St.Galler Kantonsparlaments
- Katholische Administration (Antwort Hardy Notter)
- Bischof Ivo Fürer (z. Zt. der Umfrage noch im Amt)
- Regierungsrätin Kathrin Hilber
- Stiftsbibliothek (Antwort Ernst Tremp)

=> gemeinsame Stellungnahmen: Ritter/Eugster (KR, cvp); Hutter/Brunner/Bigger/Pfister (NR, svp)

=> summarische Statements: Ivo Fürer (Bischof), David (SR, cvp), Müller (NR, fdp), Rechsteiner (NR, sp);

=> nicht beteiligt: Weigelt (NR, fdp), Büchler (NR, cvp), Meier-Schatz (NR, cvp, mit Begründung)

Fragen:

1) Unterstützen Sie den Anspruch von St.Gallen auf Rückerstattung seiner im Zweiten Villmergerkrieg 1712 geraubten Kulturgüter aus Zürich?
Alle Befragten antworteten mit "Ja" oder "Teilweise" (v.a. auf der Linken).

2) Sind Sie mit der am 27. April 2006 durch St.Gallen und Zürich unterzeichneten Vereinbarung über die abschliessende Beilegung des Konflikts zufrieden? 
Grossmehrheitlich "Ja", einige "Teilweise", keine parteipolitische Differenzierung.

3) Erscheint Ihnen der Anspruch von Nachkommen der Opfer von Sklaverei und Sklavenhandel in Afrika, auf dem amerikanischen Kontinent und den Antillen auf Rückerstattung von geraubten Kulturgütern, Identitäten, Lebenschancen und Arbeitsstunden grundsätzlich gerechtfertigt? 
Etwa zu je einem Drittel "Ja", "Teilweise" oder differenzierende Antworten.

4) Erscheint Ihnen die Übertragung der Argumentation im St.Galler Kulturgüterstreit auf Wiedergutmachung für Sklaverei und Sklavenhandel statthaft? 
Mehrheitlich "Nein", weil die beiden Konflikte nicht vergleichbar seien; einige "Teilweise" oder "Ja".

5) Würden Sie konkrete Forderungen seitens schwarzafrikanischer, amerikanischer oder karibischer Organisationen nach einer Wiedergutmachung für Sklaverei und Sklavenhandel unterstützen?
Einige "Nein", einige "Teilweise", einige "Ja", einige differenzierende Antworten.

6) Erscheint Ihnen die Forderung Haitis nach Rückerstattung der diesem Land 1825 abgepressten Lösegeldzahlung von 90 Millionen Goldfrancs durch Frankreich (siehe Interpellation Josef Lang 06.3070) gerechtfertigt?
Mehrheitlich "Ja"; einige differenzierende Antworten; einige Erklärungen, in dieser Frage nicht kompetent zu sein.


Einzelne prominente Antworten und Quotes:

"Beim St.Galler Kulturgüterstreit ging es um ein eng begrenztes Problem. Zudem waren die Beteiligten und der Streitgegenstand noch vorhanden. Sklaverei und Sklavenhandel waren ein globales Unrecht mir Auswirkungen für sehr viele Länder und Menschen." (Ritter, Eugster, KR, cvp)

 "Wer dem St.Galler Kulturgüterstreit erhebliche Bedeutung zumisst, wird wohl argumentativ ein sehr grosses Problem haben, Wiedergutmachung für Sklaverei und Sklavenhandel abzulehnen." (Fredy Fässler, KR, sp)

"Ansprüche und Wiedergutmachungsprozesse sind dann gerechtfertigt, wenn Vergehen und ihre Folgen objektiv feststellbar sind und im Rahmen einer Rechtsordnung einklagbar sind." (Kathrin Hilber, Regierungsrätin)

 "Ja." (SR Forster-Vannini, fdp, und NR Walker, cvp, zu Frage 6 – Rückerstattung der haitianischen Unabhängigkeitsschuld)

 "Ja. Ist aber näher zu prüfen und allenfalls durch einen internationalen Gerichtshof zu entscheiden." (Notter, Kath. Admin.,  zu Frage 3 – grundsätzliche Rechtfertigung von Rückerstattung)

 "Diese Überlegungen zeigen die Problematik auf, die Argumentation des Kulturgüterstreits auf das Problem der Wiedergutmachung gehandelter Sklaven zu übertragen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es nicht eine Forderung der Gerechtigkeit sein kann, Nachkommen der Opfer von Sklaverei und Sklavenhandel finanziell zu entschädigen." (Bischof Ivo Fürer)

 "Massgebend ist für mich die Trilogie von Wole Soyinka: Wahrheit, Wiedergutmachung, Versöhnung. Die Notwendigkeit der Erinnerung steht am Anfang." (NR Rechsteiner, sp)

 "Sie dürfen innenpolitische Fragen nicht mit aussenpolitischen Fragen oder Positionen der Schweiz vermischen." (NR Müller, fdp)

 "Ich gestatte mir, Ihnen kurz mitzuteilen, dass die Art und Weise, wie Sie die Verknüpfung der beiden Themenkreise aufgleisen, m.E. weder sachlich begründbar noch statthaft ist." (NR Meier-Schatz, cvp)

 "Sklaverei und Leibeigenschaft waren in der Vergangenheit weit verbreitet, insbesondere in Europa, Asien und Amerika. Auch hier kann die Wiedergutmachung eine Form der Vergangenheitsbewältigung sein. Allerdings müssen sich in erster Linie die Beteiligten selbst darum bemühen." (SR David, cvp)

 "Es ist uns jedoch unklar, was mit einer solchen Diskussion wirklich erreicht werden soll und kann. Vielmehr erachten wir dies als eine Bemühung, irgendwelche Themen aus der Vergangenheit als Gegenstand persönlicher Profilierung hochzuspielen. (...) Wir wollen die von Ihnen so vehement geforderte unfruchtbare Debatte über Schuld und Sühne in der Weltgeschichte nicht aufnehmen. Das dies seitens der Historiker getan wird und getan werden soll, ist zu begrüssen." (Hutter, Brunner, Bigger, Pfister, NR, svp)

 "Was heisst hier 'Anspruch auf Rückerstattung'? Eine solche zivilrechtliche Forderung soll sich an die Nachkommen der 'Übeltäter' richten. Der Staat ist nicht verantwortlich für das Unrecht, das einzelne seiner Bürger getan haben." (Ernst Tremp, Stiftsbibliothekar)