Das Geschäft mit den "Wilden"

Zwei Bücher spüren den Verstrickungen von Schweizern in den transatlantischen Sklavenhandel zwischen 1450 und 1870 nach

VON GOTTFRIED OY

Während der dritten UN-Weltkonferenz gegen Rassismus 2001 in Südafrika war die Schweiz eines der wenigen westlichen Länder, das sich relativ offen gegenüber Entschädigungsforderungen zeigte - allerdings nur, weil der offiziellen Geschichtsschreibung zufolge die Schweiz mit dem Sklavenhandel nichts zu tun hat. Sicher gehört sie nicht zu den großen europäischen SklavenhalterNationen wie Portugal, Spanien, Frankreich, Großbritannien, Niederlande oder Dänemark. Aber ist es nicht zu kurz gegriffen, die Verantwortung für die gut 400-jährige transatlantische Sklavenwirtschaft allein auf staatliche Institutionen abzuschieben? Der Sklavenhandel war privatwirtschaftlich organisiert, die komplette europäische Wirtschaft war daran beteiligt, insofern ist es kaum verwunderlich, in den Archiven auch auf Zeugnisse Schweizer Kaufleute, Banker oder Plantagenbesitzer zu treffen.

Zwei Publikationen spüren der Verstrickung von Schweizern in den transatlantischen Sklavenhandel zwischen 1450 und 1870 nach. Hans Fässler konzentriert sich frei nach Brecht darauf, nach dem das Böse immer eine Adresse und Telefonnummer habe, abstrakte Transaktionen an konkrete Orte und Adressen rückzubinden.

Thomas David, Bouda Etemad und Janick Marina Schaufelbuehl legen eine fundierte Quellenstudie über Schweizer und Sklaverei vor. Das Ergebnis: "Eine umfassende Bilanz, die sowohl die direkte als auch die indirekte Teilhabe von Schweizerinnen und Schweizern am Sklavenhandel berücksichtigt, ergibt die Zahl von 172 000 deportierten Schwarzen und damit 1,5 Prozent der elf bis zwölf Millionen Sklaven, die Afrika im Rahmen des transatlantischen Handels entrissen wurden."

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Die Bücher
Hans Fässler: Reise in Schwarz-Weiß. Schweizer Ortstermine in Sachen Sklaverei, Rotpunktverlag, Zürich 2005, 337 Seiten, 22 Euro.
Thomas David et al: Schwarze Geschäfte. Die Beteiligung von Schweizern an Sklaverei und Sklavenhandel im 18. und 19. Jahrhundert, Limmat Verlag, Zürich 2005, 200 Seiten, 22 Euro.
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Wie lief der transatlantische Sklavenhandel ab? Zunächst wurde eine Beteiligungsgesellschaft gegründet, um das Geld für die etwa 18-monatige Überfahrt zu sammeln. Nicht nur Ausrüstung, Heuer und Versicherung, auch die Waren für den Tauschhandel - so genannte Indiennes, gefärbte oder bedruckte Baumwollstoffe, die gezielt nach Wünschen afrikanischer Sklavenhändler hergestellt wurden - verschlangen ungeheure Summen. Das verdeutlicht etwa das finanzielle Engagement der Schweizer Familie Burckhardt, die 1791 als Hauptanteilseigner 200 000 Livre in eine Sklavenexpedition investierte, was dem damaligen Gegenwert einer Pariser Stadtvilla entsprach.

Für die Überfahrt von Europa an die westafrikanische Küste mussten drei bis vier Monate veranschlagt werden, der Tauschhandel selbst dauerte noch einmal bis zu einem halben Jahr. Auf etwa jedem zehnten Sklavenschiffe gab es noch vor der Überfahrt nach Südamerika Revolten, oft ließen die Händler kurzerhand alle Sklaven an Bord töten, die Versicherungsgesellschaft ersetzte ihnen den Schaden. Die Atlantiküberquerung war eine Höllenfahrt: Während des Sklavenhandels starben etwa 1,5 Millionen Schwarze auf dem Meer.

Höllenfahrt über den Atlantik

Den Plantagenbesitzern auf den westindischen Inseln Guadeloupe, Martinique oder Saint-Domingue wurden schließlich zusätzlich zu den Sklaven noch überteuerte Kredite verkauft. Die Schiffe kehrten darauf, beladen mit Tropenerzeugnissen, nach Europa zurück. Jede Etappe dieses Dreieckshandels war ein risikoreiches Geschäft, das mit hohen Gewinnen lockte. Viele Expeditionen scheiterten, die Rentabilität des Sklavenhandels wird deshalb in der aktuellen Forschung deutlich geringer eingeschätzt als bislang. Dennoch war der Sklavenhandel in der zeitgenössischen Finanzwirtschaft sehr beliebt, weil eine Investition in die Schiffe immer noch mehr Profite einbrachte als andere damals übliche Finanzgeschäfte, schreiben David, Etemad und Schaufelbuehl.

Dass Schweizer an jeder einzelnen Station dieses Dreieckshandels beteiligt waren, verdeutlicht Fässler in seinem Buch. Vom Schiffsausrüster über Geldgeber, Versicherer, Plantagenbesitzer bis hin zum Söldner im Dienst der Sklavenhalter-Nationen: Für Schweizer war die Sklaverei so wie für andere Europäer ein normales Geschäft und eine Investitionsmöglichkeit unter vielen.

Insbesondere die Antillen waren ein beliebtes Ziel für Schweizer Auswanderer, die entweder selbst Plantagen besaßen und Sklavenhalter waren oder für Schweizer arbeiteten, die von Basel, Genf oder Neuenburg aus ihre Ländereien auf den Antillen führten.

Die Schweiz ist aber auch ein wichtiges Land der Abolitionistenbewegung gewesen: Der strengen französischen Zensur entflohen, wurden die maßgeblichen Schriften der Gegner der Sklaverei in Genf, Lausanne, Yverdon, Basel und vor allem in Neuenburg veröffentlicht.

Schweizer waren an der Gründung der ersten Abolitionistenvereine wie der "Société de Amis des Noirs" beteiligt. Diese Vereinigungen wollten nicht allein die Sklaverei abschaffen, die "Zivilisierung" und Christianisierung Afrikas stand im Vordergrund. Im Zuge europäischer Kolonialbestrebungen wurde der Abolitionismus schließlich als strategisch-humanistisches Argument verwandt, europäische "Schutztruppen" sollten Afrikaner vor arabischen Sklavenhändlern schützen. Die Abolitionistenbewegung strickte somit eifrig mit am Diskurs über den "guten Wilden", der vom "grausamen, sexuell &Mac226;verderbten' Muslimen versklavt wird". Die Europäer erschienen einmal mehr als neutrale Beobachter des Weltgeschehens, die sich aus rein humanistischen Gründen für Afrika einsetzen.