Die Weltwoche, Nummer 27

Diese Woche

Nelson Mandela Peak

Die schönsten Flecken und Bauten der Erde gehören zum Unesco-Welterbe. Die letzten Entscheide: Das alte Heidelberg mit seinem Schloss kam nicht auf die Welterbe-Liste. Dresden wurde nicht relegiert. Die Weinberge des Lavaux neu aufgenommen. Und der massiven Erweiterung des ersten Unesco-Welterbes der Alpen des Jungfrau-Aletsch-Bietschhorn-Gebietes stimmten die Verantwortlichen zu.

Mitten im Jungfrau-Aletsch-Gebiet steht das Agassizhorn. Ein unscheinbarer vergletscherter Berg, dem es mit seinen 3953 Metern nicht einmal in die Kategorie der Viertausender gereicht hat. Kein Mensch würde über diesen Hubel reden, wenn es nicht Hans Fässler aus St.Gallen gäbe. Der Historiker befasst sich mit einer der dunklen Seiten der Schweizer Geschichte. In seinen neuesten Arbeiten belegt Fässler: Jean Louis Rodolphe Agassiz war ein genialer Naturforscher und notorischer Rassist zugleich. Und dies bis auf dem Totenbett.

Unter Stalin hat sich die Sowjetunion schneller industrialisiert als kapitalistische Länder. Deshalb denken viele mit Wehmut an den Massenmörder, der selbst die Kader der alten Bolschewiki brutal abschlachten liess. Stalingrad heisst seit 1961 wieder Wolgograd.

Agassiz hat niemanden abgeschlachtet, aber er hat den Sklavenhaltern seiner Zeit und den Schlächtern von Soweto die rassistischen Argumente geliefert. Er war ein Schreibtischtäter. Ein Kind seiner Zeit? Es gab auch andere Wissenschaftler.

Die Gemeindepräsidenten von Grindelwald und Fieschertal müssten Hans Fässler für seine Arbeit danken. Und auf dem Jungfraujoch ein internationales Symposium über das spannende Thema «Nationalismus Rassismus Alpinismus» veranstalten.

Zur Eröffnung müsste Nelson Mandela, wenn es wegen des Alters nicht mehr anders geht, über Videowand zu den Teilnehmern sprechen. Der Unbeugsame sass während Jahrzehnten auf Robben Island im Gefängnis. Wegen der weissen Rassisten, die sich auch auf Agassiz beriefen. Mandela hat ihnen nach seiner Befreiung trotzdem die Hand der Versöhnung auf dem Weg zu einer nicht rassistischen Gesellschaft gereicht. Zum Abschluss der Tagung könnte die Air Zermatt eine vom Berner Schang Hutter gestaltete Nelson-Mandela-Skulptur auf das Agassizhorn fliegen. Und der mitfliegende Ogi-Freund Kofi Annan würde im Abendrot vor den laufenden Kameras aller grossen Fernsehsender dieser Welt das Agassizhorn in Nelson Mandela Peak umtaufen.

Im verschlossenen Fieschertal, wo Grabenkämpfe die Dorfpolitik prägen, will man von einer Umbenennung nichts wissen. Der Gemeindepräsident von Grindelwald, Dres Studer, befürchtet einen Imageschaden, wenn Hans Fässler weitermache, denn der Vorschlag sei «eine Frechheit gegenüber einem unserer verdienstvollen Pionierväter».

Das einmalige Jungfrau-Aletsch-Gebiet ist wunderschön, aber die Gegend leidet unter Brain-Drain. Die verbleibenden Gemeindepräsidenten verteidigen tote Rassisten, statt farbige Gäste aus aller Welt zu gewinnen. Sie sind wandelnde touristische Standortnachteile. Zeugen eines verpassten Wandels.

Der Autor ist Hotelier in Brig und ehemaliger Präsident der SP Schweiz.