29. August 2009, "Wissenschaft" 

Ein Gipfel für die höhere Rasse

Louis Agassiz war ein großer Naturforscher und ein Herrenmensch. Wird der Schweizer Berg seines Namens bald umbenannt?

Thomas Schmid

In Argentinien ist ein Gletscher nach ihm benannt, in Kanada eine Gemeinde, in Rio de Janeiro ein Platz, auf dem Mond ein Kap und auf dem Mars ein Krater. Auch die wissenschaftlichen Termini für den Zwergbuntbarsch (Apistogramma agassizii), die Schneefliege (Isocapnia agassizii) und die Wüstenschildkröte (Gopherus agassizii) sind mit seinem Namen verknüpft. Louis Agassiz (1807 bis 1873) war einer der bekanntesten Naturforscher seiner Zeit. In der Schweiz, wo er in einem pietistischen Pfarrhaus aufwuchs, hat ihm ein 3 952 Meter hoher Berg den Namen zu verdanken: das Agassizhorn.

Doch nun will der St.Galler Historiker Hans Fässler den Berg in Rentyhorn umbenennen. Er ist Gründer der Bürgerinitiative "Démonter Louis Agassiz", was man auch als "dé-mont-er Agassiz" lesen kann, frei übersetzt: "Nehmt Agassiz den Berg weg". Am 5. September treffen sich vor der Kulisse des Dreigestirns Eiger, Mönch und Jungfrau die Gemeindepräsidenten von Grindelwald und Guttannen, auf deren Grenze die Bergspitze des Agassizhorns liegt, ein Funktionär der Unesco, die das ganze Bergmassiv zum Weltkulturerbe erklärt hat, und vier Repräsentanten der Initiative. Fässler will die Unterschriften von mehr als 2 500 Personen aus 75 Ländern vorlegen, die sein Anliegen unterstützen. 164 Unterschriften stammen aus Deutschland, eine aus dem Vatikan.

Als Wissenschaftler war Agassiz zweifellos eine Koryphäe. Vor allem in der Ichthyologie, der Wissenschaft, die sich mit Fischen beschäftigt und die zeitlebens sein Lieblingsfach blieb, hat er Bahnbrechendes geleistet. Zunächst untersuchte er die lebenden Fische des Genfer Sees, später die toten in den Bergen: Versteinerungen in den Schieferschichten der Alpen. 1832 erhielt er auf Intervention des Berliner Universalgelehrten Alexander von Humboldt, der ihn zuvor auch finanziell gefördert hatte, eine Professur in Neuchâtel, das damals noch zu Preußen gehörte. Dort machte er sich an ein fünfbändiges Opus über Fischfossilien. Es war sein wissenschaftlicher Durchbruch und begründete seinen Weltruhm. Er schlug ein Klassifikationssystem vor, das die Basis der bis heute gültigen Systematik lieferte.

Noch während seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit in Neuchâtel wandte sich Agassiz der Glaziologie zu, der Wissenschaft von den Gletschern. Inzwischen war er Mitglied der britischen Royal Society geworden, der damals weltweit führenden Vereinigung von Naturwissenschaftlern. Seine Untersuchungen im ewigen Eis machte er zusammen mit einer Gruppe von Wissenschaftlern auf dem Unteraargletscher im Berner Oberland. Dort hatten die Forscher eine Hütte bauen lassen. Vor sich hatten sie eine Reihe noch unbenannter Berge, die sie handstreichartig unter sich aufteilten: Der Berner Geologe Bernhard Studer erhielt das heutige Studerhorn, der Züricher Geologe Arnold Escher das Escherhorn, der Solothurner Naturforscher Franz Hugi das Hugihorn und Agassiz eben das Agassizhorn. "Es war ein nomenklatorischer Raubzug", urteilt Fässler.

Doch Louis Agassiz war nicht nur ein großer Ichthyologe und ein großer Glaziologe, er war auch ein großer Rassist. Wie es zu seiner Zeit in der Wissenschaftsgemeinde üblich war, hat auch Agassiz die Menschen in Rassen aufgeteilt, hat Schädel, Nasen, Lippen, Rumpf und Beine vermessen, um die Menschen zuordnen zu können. Und er sprach - auch dies damals unter Wissenschaftlern durchaus üblich - von niedrigeren und höheren Rassen. Vor zwei Jahren teilte die Schweizer Regierung Fässler schriftlich mit, sie sei nicht zuständig für Umbenennungen von Bergen. Aber immerhin räumte sie ein, dass Agassiz rassistische Ansichten vertrat, "die weit über das in jener Zeit übliche rassische Interpretationsparadigma hinausgingen".

Dafür gibt es eine Reihe von Belegen. So berichtete Agassiz seiner Mutter im Jahr 1846: "In Philadelphia hatte ich erstmals längere Berührung mit Negern (...) Dennoch empfand ich Mitleid beim Anblick dieser verderbten und entarteten Rasse." Vier Jahre später schrieb er in einer amerikanischen Zeitschrift: "Der unbezwingbare, mutige, stolze Indianer - in welch anderem Licht steht er neben dem unterwürfigen, kriecherischen, nachahmerischen Neger!" Und noch später, als er längst zu den berühmtesten Wissenschaftlern seiner Zeit zählte, plädierte er für eine scharfe Rassentrennung: "Die Erzeugung von Mischlingen ist eine ebensolche Sünde wider die Natur wie der Inzest in einer zivilisierten Gemeinschaft eine Sünde wider die Reinheit des Charakters ist."

Darf so einer seinen Berg behalten? Nein, findet der Schweizer Historiker und verweist auf ein Vorbild in den USA. In Cambridge gab es bis vor sieben Jahren eine Agassiz School. Heute heißt sie Maria L. Baldwin School, benannt nach der ersten schwarzen Rektorin einer gemischt-rassigen Schule in Neuengland. Sie hatte die Agassiz School von 1889 bis 1922 geleitet.

Sollte Fässler, der unter dem Titel "Reise in Schwarz-Weiß: Schweizer Ortstermine in Sachen Sklaverei" ein Buch über die Problemzonen der Onomastik seines Landes geschrieben hat, seinen Kampf gewinnen, wird das Agassizhorn bald Rentyhorn heißen. Renty war ein Sklave aus dem Kongo, den Louis Agassiz auf einer Plantage in South Carolina ablichten ließ. Die Daguerreotypien dienten als Anschauungsmaterial für die These der Polygenese, für die Behauptung, dass Weiße, Schwarze, Rote und Gelbe unabhängig voneinander an verschiedenen Orten der Welt entstanden seien und nicht einer und derselben Menschheit angehören.

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Foto (2) :

Der Schweizer Louis Agassiz erwarb sich im 19. Jahrhundert große Verdienste als Fisch- und Gletscherforscher. Doch er vertrat auch eine rassistische Anthropologie.

Eines der Studienobjekte von Agassiz war dieser Afrikaner, von dem nur sein Sklavenname Renty bekannt ist. Er arbeitete auf Plantagen in South Carolina und kam aus dem Kongo.