Agassizhorn grüsst Gröbenufer

(Grussbotschaft vom 15. November 2009 an die Kundgebung zur Erinnerung an die Berliner Afrikakonferenz von 1884)

Liebe anti- und postkoloniale Freundinnen und Freunde!

Wir wären gerne an diesem Tag bei euch in Berlin gewesen. Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so! Gehört es doch mit zu den Boshaftigkeiten des weltumspannenden kolonialen und postkolonialen Systems, dass es so verdammt aufwändig ist, den Widerstand dagegen weltumspannend oder auch nur europäisch zu organisieren. Und dass es einen zu Überlegungen wie dieser zwingt: Liegt es angesichts der Lohnarbeitsbelastung und dem familiären Engagement drin und ist es zudem ökologisch zu verantworten, rasch einen Billigflug vom Bodensee nach Berlin zu organisieren, um an einer wichtigen Kundgebung mitzumachen? Es liegt nicht, leider, und deshalb eine kurze, aber herzliche Grussbotschaft aus der Schweiz.

Aus einer Schweiz, die sich noch immer der Illusion hingibt, keine koloniale Vergangenheit zu haben, obwohl heute jeder anständige Historiker weiss, dass sich Schweizer an Sklaverei und Sklavenhandel beteiligt haben, dass Schweizer Kapital die Ausbeutung des kolonialen Kongo mitfinanziert hat und dass Schweizer Grossfirmen und Grossbanken mit zu den grossen Profiteuren der Apartheid in Südafrika gehört haben.

In diesem Zusammenhang und als unser Beitrag zu einer postkolonialen Erinnerungspolitik haben wir seit den 1980er-Jahren in St.Gallen, einer mittelgrossen Stadt zehn Kilometer westlich des Bodensees, eine Kampagne zur Umbenennung unserer "Krügerstrasse" geführt. Paul "Ohm" Krüger (1825-1904) war ein Vordenker und Vorkämpfer der weissen Vorherrschaft im südlichen Afrika. Im vergangenen Juni hat der St.Galler Stadtrat dann unserem Antrag entsprochen und die Krügerstrasse umbenannt. Im Verlauf dieser über 20-jährigen Kampagne waren für uns von der St.Galler Apartheidbewegung die Anregungen und hoffnungsvollen Signale aus Deutschland immer sehr wichtig. Vor allem die Bestrebungenn zur Umbenennung von Strassen in Berlin (aus Gröbenufer wird May-Ayim-Ufer) und München (aus Von-Trotha-Strasse wird Hererostrasse) haben uns in den letzten Jahren inspiriert und angespornt zum Weitermachen.

Sie tun es immer noch, da wir in einer weiteren Kampagne engagiert sind: Das knapp 4000 m hohe Agassizhorn an der Grenze der Kantone Wallis und Bern soll umbenannt werden, weil es nach dem rassistischen Naturforscher Louis Agassiz (1807-1873) benannt ist, welcher in den USA auch zu einem Vordenker der Rassentrennung und der Apartheid wurde. Es soll, so die Forderung des transatlantischen Komitees mit dem schönen, wortspielerischen Namen "Dé-monter Louis Agassiz", neu "Rentyhorn" heissen. Renty war ein Sklave aus dem Kongo, den Agassiz auf einer Sklavenplantage in South Carolina fotografieren liess, um "wissenschaftlich die Minderwertigkeit der schwarzen Rasse" nachzuweisen. Wir haben diese Forderung mit einer Petition an die Schweizer Regierung, an das Parlament, an die Kantone und Gemeinden, welche sich diesen "Gipfel der Schande" teilen, bekräftigt. Wir halten Euch auf dem Laufenden, und freuen uns sehr, dass es in Berlin Menschen mit Fantasie, Beharrlichkeit und guten Argumenten gibt, Menschen die, zusammen mit uns, an der gleichen politischen Arbeit dran sind.

Hans Fässler, Historiker und Autor, St.Gallen (Schweiz)