St.Galler Tagblatt, 22. August 2007



Gipfel der Würde

Wo in aller Welt ist das Rentyhorn? Ein Blick auf die Karte gibt Bescheid: Hier! Bei uns, in unserer Schweizer-Geschichte-Kiste, in der auch Rassismus zu finden ist. Der klärende Fingerzeig der dunkelhäutigen Hand ist mehr als ein einfacher Hinweis, wo sich das Rentyhorn befindet. Er zeigt auf eine finstere Seite der Vergangenheit und Forscherförderung. Noch heisst die steile Erhebung Agassizhorn.

Louis Agassiz, der die «Erzeugung von Mischlingen als Sünde wider die Natur» bezeichnete, die mit Inzest gleichzusetzen sei, und der 1863, nach Abschaffung der Sklaverei in den USA, vorschlug, den Afrikanern spezielle Territorien zuzuweisen zur «Reinhaltung der weissen Rasse». Agassiz hat sich allenthalben schon zu Lebzeiten Denkmäler setzen lassen in Form von nach ihm benannten Erhebungen, die bis ins Weltall reichen.

Renty war einer seiner Sklaven, die er fotografierte und als wissenschaftlichen Beweis für die «Minderwertigkeit der schwarzen Rasse» heranzog. Treibende Kraft hinter der Umbenennung des Agassizhorns in Rentyhorn ist Hans Fässler, St. Galler Historiker und Kabarettist, der bereits 2005 im Buch «Reise in Schwarz-Weiss» auf die rassistische Seite des hochgejubelten Wissenschafters hinwies.

Im Juni dieses Jahres gründete er ein Komitee, zu dem auch Künstler H. R. Fricker, Historiker Stefan Keller und alt Nationalrätin Pia Hollenstein gehören, und startete als Reaktion auf die mehrheitlich unkritischen Feierlichkeiten zum 200. Geburtstag des Naturforschers die Kampagne «Démonter Louis Agassiz (1807–1873)». Nehmt dem Vordenker der Apartheid «seinen Berg» weg! Gebt Renty seine Würde zurück! Die Reaktionen der offiziellen Schweiz waren flau, «erbärmlich bis rassistisch» (Fässler). Das Bundesamt für Landestopographie verweist auf die Zuständigkeiten der Standortgemeinden. Diese fürchten Aufwand, Verwirrung und Kosten und finden «eine Aufarbeitung solcher Machenschaften nicht nötig». Handlungsbedarf in Sachen Sklaverei bestünde – wenn schon – in den Vereinigten Staaten, aber nicht hier. Ein nächster Schritt tut not.

Zum morgigen «Internationalen Gedenktag zur Sklaverei und deren Abschaffung» lanciert Hans Fässler nun eine Kunstpostkarte, die zeigt, dass eine Umbenennung nicht nur bitter nötig, sondern möglich ist, und kündet einen Sonderdruck der Landeskarte Nr. 1249, 1:25 000 «Finsteraarhorn» an.

Präzis 1863, als die Sklaverei abgeschafft wurde, liess der Bund die «Höchste Spitze» in «Dufourspitze» umtaufen. Manchmal gibt Geschichte Anlass zu positivem Zukunftsdenken. Jetzt fehlt nur noch die Bereitschaft der Gegenwart.

Ursula Badrutt Schoch