Sonntag, 21. September 2003
11.00 Uhr im Studio

Louverture stirbt 1803

Ich erinnere mich genau an meinen letzten Auftritt in der Studiobühne des Stadttheaters. Anlässlich der feierlichen Eröffnung der Stadtautobahn hatte ich unter dem Titel «Geschwindigkeit - Faschismus - Autobahn» ein Kabarettprogramm geschaffen. Schon dessen Ankündigung in der Theater-Zeitung hatte Empörung ausgelöst, weil ich dort geschrieben hatte: «Als anständiger Mensch kann ich diese zivil-religiösen Feierlichkeiten nicht mitmachen, ohne vorher in neunzig Gedenkminuten erklärt zu haben, warum es nichts, absolut nichts zu feiern gibt.» FDP und CVP verlangten vom Theater eine Entschuldigung an die Adresse der Natiorialstrassen-Ingenieure, weil ich die Schweizer Autobahn in einen (verkehrs)ideologischen Zusammenhang mit Hitlers Reichsautobahn gebracht hatte.

Das ist alles sehr lange her. Es war im Sommer 1987, und es gab noch die Mauer (für zwei Jahre) und die Sowjetunion (für drei). Heute ist alles anders.

Heute komme ich am Eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag ins Theater mit meinem Programm «Louverture stirbt 1803», das unter anderem die schweizerische (und st.gallische) Beteiligung an Sklaverei und Handel mit Sklavinnen und Sklaven im 18. und frühen 19. Jahrhundert thematisiert. Das Publikum nimmt diese Neuigkeit (nach Bergier-Bericht und Apartheid-Diskussion) routiniert entgegen, bürgerliche Chefbeamte, Regierungsräte sowie General- und Staatssekretäre unterhalten sich an meinen Auftritten glänzend,die Empörungfindet nicht statt.

Was habe ich bloss falsch gemacht? Oder richtig?

Ach ja, und noch etwas ist anders. Es gibt etwas zu feiern. Der «kleine weisse Kanton», an dem ich mich politisch seit 25 Jahren reibe und den ich trotzdem eigentlich gut mag, wird 200 Jahre alt. Als greiser «Herr S.G. aus CH (200) will er in meiner Fernsehsendung «XY-Chromosom - Kinder suchen ihre Eltern» herausfinden, woher er kommt. Wie wird er reagieren, wenn ihm aufgeht, dass er von einem Ausländer, dem grössenwahnsinnigen korsischen Separatisten Napoleon B. (234) auf einem Pariser Schreibtisch (in-desktop-fertilisation) gezeugt worden ist? Wird er erkennen, dass seine Mutter weiblich ist und eine Schlampe (die Revolution)? Die Antwort werden Sie am Bettag im Theater vielleicht nicht bekommen, dafür einen «grossen schwarzen Mann» kennen lernen.


Hans Fässier über sein politisches und musikalisches Kabarettprogramm

Eintritt frei.
Wegen grosser Nachfrage Platzreservierung unerlässlich.
kasse@theaterstgalleri.ch.


[Terzett 09/03]