"Louverture stirbt 1803"
Hans Fässler
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Staatskanzlei
des Kantons St. Gallen
lic. iur. Martin Gehrer
Regierungsgebäude
9001 St. Gallen


St. Gallen, 1. März 2002


Sowjetflaggenhissung: Neue Erkenntnisse

Sehr geehrter Herr Gehrer

Wenn ich heute erneut mit dem Anliegen an Sie trete, am Regierungsgebäude für
eine kurze fotografische Aufnahme von ca. 10 Minuten die alte Sowjetflagge hissen
zu dürfen, so tue ich dies in der Ueberzeugung, dass seit der letzten Ablehnung
meines Gesuches Erkenntnisse dazugekommen sind, welche eine Wiedererwägung
rechtfertigen:

1) Die am 26. November 2001 in Ruhe und Ordnung erfolgte Hissung von EU- und UNO-
Fahnen am St. Galler Rathaus dürfte Ihnen und dem Regierungsrat gezeigt haben,
dass auch bei konfliktträchtigen heraldischen Symbolen (EU! UNO!) keinerlei
negative Auswirkungen in der Oeffentlichkeit zu befürchten sind.

2) Das mit Schreiben vom 27. Februar 2002 an die Kirchengutsverwaltung
St. Gallen C gerichtete Gesuch (siehe Beilage), in Nachstellung der historisch
verbürgten Hissung vom 7. Mai 1798 die Trikolore auf St. Laurenzen anzubringen,
ist geeignet, wieder Bewegung in den sogenannten "Flaggenstreit" zu bringen und birgt die Gefahr in sich, dass bei einer allfälligen Zustimmung seitens der
Evangelisch-Reformierten Kirche zu diesem Gesuch der Kanton St. Gallen sich zum
zweiten Mal das Image einer eher unbeweglichen und konservativen Institution geben
würde, was vor allem im Hinblick auf die SG-2003-Leitgedanken "Barrieren im
Denken überwinden" und "Aussergewöhnliches und Unkonventionelles tun und zulassen"
nicht wünschenswert sein kann.

3) Die gleiche Folge, nämlich wieder Bewegung in den nur scheinbar beendeten
Flaggenstreit zu bringen, könnte auch eine Aufsichtsbeschwerde gegen den Entscheid
des Bischofs von St. Gallen zeitigen, welche ich mit Datum vom 25. Februar 2002 an
das Staatssekretariat des Heiligen Stuhls in Rom gerichtet habe (siehe Beilage).

4) Die wichtigste neue Erkenntnis scheint mir aber zuletzt diese, dass aufgrund
der Publikation der sowjetischen Generalstabskarten aus der Zeit des Kalten
Krieges (siehe St. Galler Tagblatt von heute, 1.3.02) einer breiten
Oeffentlichkeit die objektive und/oder subjektive Bedrohungslage jener Zeit
bewusst werden dürfte. Ich nehme deshalb an, dass auch im Regierungsrat die grosse
geschichtliche Ratlosigkeit ("Beim Hissen der alten Sowjetfahne mit Hammer und
Sichel fehlt jeder Bezug zur Geschichte des Kantons St. Gallen", Antwort auf
Interpellation 51.00.58) gegenüber meinem Anliegen einem gewissen Verständnis
Platz machen wird. Nachdem man auf diesen Karten z.B. das Wort "Beckenhalde" in
kyrillischer Schrift gelesen hat, kann man doch nicht mehr im Ernst behaupten,
eine imaginäre Napoleon-Landung per Helikopter auf dem Klosterplatz habe etwas mit
der Kantonsgeschichte zu tun, eine imaginäre Hissung der Sowjetflagge hingegen
nicht.

In der Hoffnung auf mehr Verständnis grüsse ich Sie freundlich.



Hans Fässler


Beilagen erwähnt