Departement für Inneres und Militär des Kantons St. Gallen Die Vorsteherin Kathrin Hilber, lic. phil. 1. September 2000 Herr lic. phil Hans Fässler Imbodenstr. 17 9016 St. Gallen Regierungsgebäude und Kathedrale: Beflaggung für Kabarettprogramm Sehr geehrter Herr Fässler Sehr geehrter Herren Häne und Pasqualini Ich danke Ihnen für Ihr Schreiben vom 20. August 2000. Dass Sie über dieAblehnung Ihrer Anliegen "befremdet" sind, ist für mich verständlich, zumal ich der Meinungsäusserungsfreiheit, namentlich auch in der Form von Satire und Kabarett, grosse Bedeutung beimesse. Mir scheint dennoch, dass die Ueberlegungen, welche die angefragten Stellen zur ablehnenden Haltung bewogen haben, nachvollziehbar sind. Die Kathedrale ist nicht nur Hauptbestandteil des Stiftsbezirks als Weltkulturerbe, sondern auch ein Ort kirchlichen Geschehens. Das Aushängen von Fahnen anderer Staaten als jener der Schweiz und des Vatikans, welche bei besonderen Gelegenheiten die Kathedrale schmücken, erscheint mir deshalb nicht angebracht zu sein. Auch muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass Orte mit einem engen Bezug zu Glaubensbekenntnissen Werthaltungen berühren und daher sehr sensible Bereiche sind. Das Hissen der ehemaligen Sowjetfahne am Regierungsgebäude halte ich ebenfalls für nicht gerechtfertigt. Lässt sich zwischen der fanzösischen Trikolore und der Kathedrale allenfalls noch eine Verbindung zur Gründung des Kantons konstruieren, so fehlt ein solcher Bezug zwischen dem Kanton St. Gallen und der "imaginären sowjetischen Okkupation". Es ist nicht einsichtig, welche Bewandtnis die "Drohgebärde" eines russischen Einmarsches mit dem Thema der Kantonsgründung hat; die Verknüpfung zu den "Kosaken, die ihre Pferde im Bodensee tränken werden", ist reichlich weit hergeholt. Obwohl ich mir bewusst bin, dass das Erwähnen rechtlicher Verpflichtungen mitunter den Vorwurf nach sich zieht, über keine anderen stichhaltigen Argumente zu verfügen, möchte ich dennoch auf einen völkerrechtlichen Aspekt hinweisen. Aus dem Uebereinkommen zum Schutz der Kultur- und Naturgüter der Welt ergibt sich die Verpflichtung, alle Vorkehren zu treffen, die der Bedeutung des Weltkulturerbes angemessen sind. Im vorliegenden Fall ist damit auch die Wahrung der Würde des Stiftsbezirks gemeint. Ich muss Sie deshalb auch in dieser Hinsicht um Verständnis für meine Haltung, welche mit jener der Regierung in Einklang steht, bitten. Auf die einzelnen Fragen, die Sie mir gestellt haben, antworte ich wie folgt: 1. Die Würde eines Weltkulturerbes zu wahren, bedeutet keineswegs "Abschottung einer lebendigen kulturellen Auseinandersetzung". So lässt beispielsweise das Konzept über die Nutzung der Räumlichkeiten der St. Galler Pfalz kulturelle Veranstaltungen verschiedenster Art zu. Darunter fällt auch die Vermittlung von zeitgenössischer Kultur. In jedem Fall gilt aber, dass auf die besondere Bedeutung des Stiftsbezirkes Rücksicht genommen werden muss. 2. Als Verfasser des kabarettistischen Projekts "SG 2003 - zwei Nullen sind genug" für das Jubiläum 2003, das in Form eines Auftrags, ein Projektheft zu erstellen, weiter bearbeitet werden soll, sind Ihnen die Ideen, die Basis für die Jubiläumsanlässe sind, sicher bekannt. Ihr (versteckter) Vorwurf, dass die Grosszügigkeit des Kantons "lediglich pekuniär" gemeint sei, ist mir nicht verständlich. 3. Die Würde zu wahren, kann nicht in Zeiteinheiten gemessen werden. Die Würde des Weltkulturerbes kann in zehn Minuten in gleicher Weise wie bei einer Veranstaltung, die über mehrere Stunden dauert, verletzt werden. Ich meine aber doch, dass ein Konzertwochenende nicht unbedingt mit einem Nachvollzug der "imaginären sowjetischen Okkupation" verglichen werden kann. 4. Die Würde zu wahren, kann auch nicht daran gemessen werden, wer hinter einem Kulturprojekt steht oder als kulturschaffende Person wirkt. Auch lässt sich eine Filmszene mit der Darstellung von Napoleon wohl kaum mit dem Hissen der Trikolore oder der Sowjetfahne an einem Stiftsbezirksgebäude vergleichen. Ich bedaure sehr, Sie durch meine Ausführungen ein weiteres Mal enttäuschen zu müssen. Vielleicht wird Ihre Enttäuschung aber dadurch etwas gemnildert; dass Sie in den Ueberlegungen, die in diesem Brief und in den anderen Stellungnahmen angestellt werden, möglichweise Rohmaterial finden, um diese in der einen oder anderen Form kabarettistisch zu hinterfragen. Dann wären die Ihnen allenfalls noch fehlenden fünf Minuten, die Sie gerne mit der Trikolore und der Sowjetfahne gefüllt hätten, doch noch "gerettet". Freundliche Grüsse DEPARTEMENT FüR INNERES UND MILITäR Die Vorsteherin lic. phil. Kathrin Hilber Regierungsrätin Kopie an: - Herrn Bischof Dr. Ivo Fürer, Klosterhof 6b, 9001 St. Gallen - Herrn Staatssekretär lic. iur. Martin Gehrer, Regierungsgebäude, 9001 St. Gallen |