Zürich und der Westindien-Handel

Zürich indessen, das von alters her auf den Nord-Süd-Handel und vor allem auf die einheimischen, sesshafte Textilindustrie festgelegt, schenkte erst spät und zögernd auf diese aussichtsreichen weltweiten Handels- und Finanzbeziehungen ein. Am Ende des Jahrhunderts wurde daraus ein kurzes, rasches, strohfeuerartiges Aufblühen und Zusammensinken der Zürcher Ueberseebeziehungen. Doch so kurz es war, so gingen daraus doch ganz wesentliche direkte Anregungen für den Zurcher Welthandel des 19.Jahrhunderts hervor. Er begann in den späten 1820er Jahren, nahm rasch zu und half beim Aufstieg Zürichs zum großen Wirtschaftsplatz entscheidend mit. Dieser Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert soll hier geschildert werden. Dagegen lassen wir die zürcherische Auswanderung nach Nord- und Südamerika beiseite, die im 17.Jahrhundert begann und im 18.Jahrhundert immer mehr Kolonisten in diese Kontinente führte, aber keine Beziehungen zum Überseehandel hatte. Uns interessieren nur jene Verbindungen, die für Zürichs Ueberseehandel und Industrie eine gewisse Bedeutung erlangten.

Zürichs Weg zu den Plantagen Ost- und Westindiens führte anfänglich über seine politisch-militärischen Verbindungen zu den protestantischen Niederlanden. Neben einigen Pfarrern waren es fast ausnahmslos Fallite, politische Verbannte und sonst irgendwie Gescheiterte, die derart seit dem ausgehenden 17.Jahrhundert nach Übersee gelangten. Einer der ersten Ostindienreisenden aus dem Kanton Zürich war der Winterthurer Johann Ulrich Meyer (gest. 1692), Sohn des Pfarrers Hans Heinrich Meyer, der sich 1663 von der holländisch-ostindischen Kompagnie als Chirurg anwerben ließ und sein Leben auf der Molukkeninsel Banda verbrachte. Seine holländische Witwe sandte 1694 testamentgemäß 1200 Reichstaler für seine Verwandten nach Winterthur. Nach ihrem Tode bemühten sich die Erben in Winterthur, auch noch den Rest des Erbes in die Eidgenossenschaft zu holen. Der junge Hans Caspar Kahrt von Zürich (1654-1685), der seine Goldschmiedelehre nicht abschloss, ging ebenfalls zur holländisch-ostindischen Kompagnie und starb zu Bantam auf Java. Etwa zur selben Zeit begab sich Hans Caspar Lcemann aus Zürich nach Colombo, von dem man 1688 keine Nachricht mehr hatte4. Vor 1700 weilte auch Hans Ulrich Sommer von Unterschottikon in Indien, der 1710 als Wirt in seiner Heimat starb. Johann Ernst von Wiesendangen gelangte 1750 in holländisch-ostindischen Diensten nach Ostindien und wurde dort seit 1762 vermisst. 1765 starb Heinrich Muralt, der Sohn des verarmten Kaufmanns Hans Kaspar Muralt-Engelfried zum Giessfass auf der Reise nach Ostindien, und vier Jahre später wurde der liederliche Salomon Schmid aus der Zürcher Junkernfamilie nach Ostindien verschickt.

Noch mehr als Ostindien war Westindien, d.h. Antillen und Guayana, im 18.Jahrhundert in der zürcherischen Vorstellung die geeignete Unterkunft für Tunichtgute. 1684 hatte man Hans Rudolf Kitt, einen ungeratenen Sohn aus angesehener Zürcher Familie, in holländischen Kriegsdienst nach Surinam geschickt, doch schon ein Jahr später wieder ausgelöst. 1752 bemühte sich Zürich als eidgenössischer Vorort, alle Vagabunden und Bettler der Eidgenossenschaft auf die französischen Antillen abzuschieben, doch scheiterte der Plan an der Ablehnung durch Versailles.

[Hans Conrad Peyer, Handel und Bank im alten Zürich, Zürich 1968, S. 175f.]