Die Gonzenbach

Kaufleute aus kleinen und neuen leinwandorten wie Bischofszell, Hauptwil, Herisau, Trogen, Rorschach, Arbon, aber auch fremde Einkäufer setzen sich immer erfolgreicher gegen die St. Galler Webermeister und Kaufleute durch. Mit qualitativ schlechterer und daher billigerer Ware vermochten sie deren Preise zu unterlaufen und erreichten so im Ausland einen grösserern Markt als ihre St. Galler Konkurrenten. Auch risikofreudigere St. Galler Kaufleute wie die Brüder Hans-Jakob und Bartolome Gonzenbach, die den Anschluss nicht verpassen wollten, suchten nach Mitteln und Möglichkeiten, die zünftisch-städtischen Verordnungen, die einst zum Aufschwung des St. Galler Leinwandgewerbes viel beigetragen hatten, zu umgehen. Um von der Stadt St. Gallen unabhängig zu werden, mussten neue Leinwandmärkte und –messen, neue Gewerbezentren für die Veredelung aufgebaut werden, wo weniger strenge Schaubestimmungen herrschten und neben Tuchen erster auch solche zweiter und minderer Qualität angeboten werden konnte, wo kein Bleichzwang bestand, so dass der Kaufmann dort seine Ware veredeln lassen konnte, wo es ihn am billigsten kam.

Die Arbeitsteilung zwischen St. Gallen und seinem Umland veränderte sich nun zugunsten des Landes. 1665 verlegten die Brüder Gonzenbach ihren Geschäftssitz nach Hauptwil, wo sie in kurzer Zeit einen neuen Handels- und Gewerbeplatz mit Bleich- und Färbanlagen, eine Appretur, Mühlen, Werkstätten und andere Anlagen auf privater Basis errichten liessen. Bald stand das Gonzenbachsche Haus unter den ostschweizerischen Leinwandexporteuren nach Lyon an erster Stelle.

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Er (Peter Bion, HF) kaufte aus der Levante rohe Baumwolle ein, liess sie im Glarnerland, wo die Baumwollindustrie von Zürich her schon eingeführt worden war, und auf der Zürcher Landschaft zu Garn spinnen und durch eigene Weber in St. Gallen zu Barchent verarbeiten. Die Tücher exportierte er in die umliegenden Länder. 1726 trat Peter Gonzenbach in Bions Geschäft ein, übernahm es 1732 und baute es aus.

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Mitte der fünfziger Jahre setzte der entscheidende Aufschwung ein. Die Baumwollindustrie entwickelte sich in Kürze zum wichitigsten Industriezweig der Ostschweiz. Unterbrochen von der Hungersnot 1770/71 und kurzen Absatzkrisen, brachten die vier folgenden Jahrzehnte den Kaufleuten, aber auch den Heimarbeitern "recht goldene Zeiten".

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"Das Land kam in ungemeinen Flor", schrieb der Appenzeller Chronist Gabriel Walser um 1760, "das Commercium mit geblümter Leinwand, Barchent, Mousseline, Baumwolltüchern etc. Florierte. Die Leinwand hatte guten Abgang. Man konnte nicht genug anschaffen und Arbeitsleute bekommen. Dadurch kam viel Geld ins Land, und die Armen wurden aus dem Bettel gezogen. In Trogen, Herisau und Speicher etc. Wurden viele schöne Häuser und Paläste gebaut."

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1753 liess das St. Galler Handelshaus Gonzenbach erstmals ostindische Mousseline besticken. Damit fand ein völlig neuer Zweig Eingang in die Ostschweizer Textilindustrie.

(...) Der Aufschwung der Weberei und Stickerei musste sich auch auf das Veredelungsgewerbe wachstumsfördernd auswirken. In Herisau, Speicher, Teufen, Rorschach, Arbon, Hauptwil, Wattwil, Lichtensteig und an anderen Orten entstanden neue, ausschliesslich auf privater Basis organisierte Bleichen, Färbereien und Appreturen.

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Der Export der Mousseline, der Midoubles und Jacconats, der bestickten, gefärbten und bedruckten Stoffen, lag ganz in den Händen von 50 bis 60 St. Galler und rund 30 Appenzeller Handelshäusern, die ihre Waren in ganz Europa, von Russland bis Schottland und Portugal, von Malta bis Skandinavein und zum Teil auch schon nach Uebersee absetzten. Sie konnten dabei auf die ausgebaute Verkaufsorganisation der Leinwandhandelshäuser zurückgreifen und sich deren Geschäftsbeziehungen, Erfahrungen und Know-how zunutze machen.


[Tanner Albert, Das Schiffchen fliegt, die Maschine rauscht - Weber, Sticker und Fabrikanten in der Ostschweiz, Zürich 1985, S. 18ff.]