Die Schweiz und die Sklaverei

von Hans Fässler, St. Gallen

Als ich dem haitianischen Honorarkonsul in Zürich davon erzählte, ich arbeitete daran, dass nach dem Bergierbericht und der Apartheid-Connection nun ein drittes düsteres Kapitel der Schweizer Vergangenheit aufgearbeitet werde, nämlich die Schweizer Beziehungen zur transatlantischen Sklaverei, da sagte er nur höflich: „Mais Monseiur, ce serait alors le premier chapitre!“


Das Projekt

Im Verlauf der Arbeit an meinem Kabarettprogramm „Louverture stirbt 1803“ zum 200-Jahr-Jubiläum des Mediationskantons St. Gallen bin ich auf die Witwe Rietmann gestossen. 1740 hat sie, die mit Daniel Högger verheiratet gewesen war, gemäss dem Genfer Staatsarchiv, welches der renommierte St. Galler Historiker und Publizist Herbert Lüthy untersucht hatte, ihren Anteil an der Plantage «L'Helvetia» in Berbice (heute Surinam), welchen sie von ihrem Bruder Jean Barthélémy Rietmann, Banquier in Amsterdam, geerbt hatte, an die Brüder Schlumpf abgetreten. Dieses Erbe umfasste „fonds, fruits, esclaves, meubles, ustenciles, bestiaux, etc.“

Wie bitte ? Die St. Galler Familien Rietmann, Högger und Schlumpf als Sklavenbesitzer? War denn mein Geburtsort im 18. Jahrhundert nicht einfach ein kleines, putziges Städchen mit einer hohen Mauer darumherum, das ein wenig mit Leinwand handelte? Seither hat mich das Thema nicht mehr losgelassen. Zur St. Galler Quelle sind Hinweise und Belege aus den Kantonen Ausserrhoden, Thurgau, Schaffhausen, Bern, Basel, Neuenburg, Lausanne und Genf dazugekommen, die sich auf www.louverture.ch nachlesen lassen.


Die Reaktionen

Als ich begann, parallel zu meinem Kabarettprogramm in allen betroffenen Kantonen und Städten sowie auch im Nationalrat politische Vorstösse zu organisieren, merkte ich bald, dass nach der ganzen Debatte um die Schweiz im Zweiten Weltkrieg bei manchen Leuten eine gewisse „historische Müdigkeit“ eingetreten war. Auch bei Genossinnen und Genossen, die ich als Bekannte von früher oder auch nach dem Zufallsprinzip (vom Sekretariat zum Fraktion zum einzelnen Ratsmitglied) anfragte, tönte es mehr als einmal: „Was? Schweiz und Sklaverei? Muss das jetzt auch noch sein?“ Hatte es in den 80er-Jahren, in denen ich lokal und auch national politisch aktiv gewesen war, noch in jeder Fraktion einen oder mehrere Genossinnen oder Genossen gegeben, die für internationalistische oder auch etwas freche und ungewöhnliche Vorstösse zu haben gewesen waren, schien es heute einiges schwieriger zu sein. Das Resultat ist denn auch irgendwie ein Spiegelbild der Verhältnisse: Von den 19 Einfachen Anfragen und Interpellationen zu „Schweizer Beteiligung an Sklaverei und transatlantischem Handel mit Sklavinnen und Sklaven" stammen acht von der SP, zwei von den Grünen, eine von einer Frauengruppe und acht von Gruppierungen links der SP. Die Vorstösse und die Antworten der jeweiligen Regierungen sind nachzulesen unter http://www.louverture.ch/BUCH/material/PARLAMENT/VORSTLISTE.html.

Die Reaktionen auf mein Kabarettprogramm waren durchwegs positiv. Rund 25 mal habe ich es im Kanton St. Gallen gespielt und bin damit auch noch ins Appenzellische, in den Thurgau, nach Basel, Luzern, Zürich und Bern und schliesslich sogar nach Haiti (Port-au-Prince) gekommen.

Nach der Pause kam ich jeweils als Ed Fagan etwas ausser Atem auf die Bühne und sagte, ich hätte eigentlich auf dem Marktplatz von St. Gallen, vor einem Restaurant namens NON OLET, eine Pressekonferenz abhalten wollen, sei dann aber von empörten älteren Leuten angepöbelt und mit antisemitischen Sprüchen eingedeckt worden, wie damals im Juni 2002 auf dem Paradeplatz. Darum müsste ich nun die sogenannte „Swiss Slavery Connection Campaign“ hier in einem Kleintheater ankündigen.

Wenn ich dann (mit amerikanischem Englisch und deutschen Untertiteln) davon sprach, dass sich die Schweiz nach der teilweisen Zusammenarbeit mit dem Naziregime und nach der Komplizenschaft mit der Apartheid nun einem weiteren düsteren Kapitel ihrer Geschichte stellen müsste, nämlich der Schweizer Beteiligung an Sklaverei und transatlantischem Handel mit Sklavinnen und Sklaven, reagierten die meisten Leute im Publikum mit einer Mischung aus Irritation und Unglauben.

Spätestens im Juni haben sie dann im Kanton St. Gallen gemerkt, dass es mir sehr ernst ist damit. Für mein Buch, das ich zu diesem Thema zusammen mit dem Zürcher Rotpunkt-Verlag auf Frühling 2006 herausbringen möchte, hatte ich einen Beitrag aus dem Lotteriefonds beantragt. Die Regierung war dafür und die Finanzkommission auf SVP-Antrag dagegen, sodass es dann im Kantonsrat eine wunderbare Debatte gab: SVP und FDP bekämpften den Beitrag mit dem angeblich "sprunghaften Anstieg von Historikern", der zu solch "fragwürdigen Projekten" führe. Es handle sich um ein "gesuchtes und völlig nebensächliches Thema", das keinen Bezug" zum Kanton St.Gallen habe und "so weit in der Vergangenheit" liege. Ein FDP-Kantonsrat und UBS-Vizedirektor sah bereits eine Fagan-Sammelklage auf den Kanton zukommen und ein SVP-Kantonsrat war derart enerviert darüber, dass dem Beitrag schliesslich mit 90 Stimmen (aus SP, CVP und Grünen) gegen 83 (aus SVP und FDP) zugestimmt wurde, dass er flugs eine naiv-ironisch-zynische Interpellation schrieb, ob denn nicht auch die Völkerrechtsverletzungen anlässlich der Schlacht bei Vögelinsegg (1403) aufgearbeitet werden müssten.


Die Hypothese

Nach rund vier Jahren Recherche zur Schweizer Beteiligung an Sklaverei und transatlantischem Handel mit Sklavinnen und Sklaven gehe ich heute davon aus, dass das Gebiet der heutigen Schweiz, d.h. heisst vor allem eine Anzahl von wirtschaftlich tonangebenden Familien und Familienunternehmen in den wichtigsten Schweizer Städten sehr eng in das europäische Netz von sklavereirelevanten ökonomischen Beziehungen eingebunden war. Es betrifft dies vor allem den Handel mit Gütern für die Ausrüstung von Schiffsexpeditionen (Indiennes und andere Textilien), den Handel mit Kolonialwaren, d.h. den Sklavereiprodukten Baumwolle, Zucker, Kaffee, Indigo, Tabak und Reis, die Investititonen in Plantagen und Schiffsausrüstungen, den Einsatz von schweizerischen Söldnertruppen zur Bekämpfung aufständischer Sklavinnen und Sklaven sowie die ideologische Untermauerung oder die Propagierung der Sklaverei. Der schweizerische Anteil dürfte gemessen an demjenigen der grossen Kolonialmächte England, Frankreich, Holland, Spanien und Portugal oder auch gemessen an den kleineren Akteuren Dänemark, Schweden und Brandenburg eher gering, gemessen an der Kleinheit der Schweiz, der ausgesprochenen Binnenlage und am diesbezüglichen historischen Wissen eher gross sein.

Der Aufruf

Der ideale Historiker in diesem Forschungsgebiet sähe wie folgt aus: Er beherrschte die Sprachen Französisch, Englisch, Spanisch, Holländisch, Portugiesisch, Dänisch und Schwedisch, wäre eine Experte in den Bereichen „Kolonialgeschichte“ (allgemeine sowie französische, englische, spanische, holländische, portugiesische, dänische und schwedische), „Wirtschaftsgeschichte“ (v.a. Bankwesen), „Schweizergeschichte des 18. und frühen 19. Jahrhunderts“ und „Migrationsgeschichte“. Er hätte ausserdem Zeit und Mittel, u.a. nach Nantes, Lyon, Bordeaux, El Salvador de Bahia, Buenos Aires, Charleston, Gorée und Surinam zu reisen und die dortigen Archive zu durchforsten. Ausserdem verstünde er noch viel von afrikanischer Geschichte (etwa alle Küstengebiet von Senegal bis Angola). Und Kenntnisse im orientalischen Sklavenhandel (Sahara, Ostafrika, Madagaskar und bis Indien) wären auch sehr nützlich.

Da ich diese Bedingungen leider nicht erfülle, folgt zum Schluss ein historischer Hilferuf. Ich habe immer wieder festgestellt, dass sehr viel Material vorhanden ist, dass einiges bereits aufgearbeitet und dargestellt ist, dass es aber oft Zufall ist, ob man davon erfährt. Interessante Quellen, Fakten oder Hinweise sind eben vermutlich noch nie unter der Fragestellung „Beteiligung der Schweiz an einem der grössten Verbrechen der Menschheit“ aufgearbeitet worden, sondern immer als Auswandererschicksal, wirtschaftshistorischer Zusammenhang, Familiengeschichte Textilgeschichte, etc.. Hinweise auf Bücher, Aufsätze, Quellen- und Archivmaterial, HistorikerInnen mit bestimmten Fachkenntnissen oder historische Persönlichkeiten im Zusammenhang mit schweizerischen Beziehungen zur Sklaverei sind also jederzeit sehr willkommen (e-mail siehe unten).


Der Autor

Hans Fässler (Jahrgang 1954) aus St. Gallen hat in Zürich Englisch und Geschichte studiert. 1984 -1994 war er Mitglied des Grossen Rates des Kantons St. Gallen, 1986 -1993 kantonaler SP-Parteisekretär. Er war ausserdem aktiv in der GsoA, dem VPOD, der Anti-Apartheidbewegung und im Verein „Gerechtigkeit für Paul Grüninger“. Er ist heute Englischlehrer an der Kantonsschule Trogen AR, Kabarettist und Vater von zwei Söhnen.
Sein e-mail: hans.faessler@web.de.