DER BUND, Montag, 03.11.2003, Ausgabe-Nr. 256, Ressort Stadt & Region

Welches Unrecht hättens gern?
Sklaverei, Sexklubs, Schlesier - Berns Stadtrat über Schuld,Studium und Sühne

RUDOLF GAFNER

Es war einmal, im aristokratischen Bern des 18. Jahrhunderts, da gabs Privatbankiers, Patrizier und Bürger, die profitierten als Finanziers, Aktionäre oder Kaufleute vom internationalen Sklavenhandel. Was also vermuten lasse, dass auch die Stadt, «indirekt über Steuern etc.», profitiert habe fanden die Jungalternativen Erik Mozsa und Simon Röthlisberger und forderten daher von der Stadt historische Aufarbeitung, allenfalls Gesten der Sühne.

Sklaven, Südafrika, Sans-papiers

Unrechtsaufarbeitung, Vergangenheitsbewältigung, Wiedergutmachung sei ja gut und recht, fand der Gemeinderat. Doch angesichts ihrer knappen Finanzen könne die Stadt derzeit nicht als Forschungsauftraggeberin auftreten. Komme hinzu: Gewiss sei die Sklaverei eine schlimme Sache doch auch über anderes, für Bern zudem näher liegendes Unrecht sei «sehr wenig bekannt», sagte Stadtpräsident Klaus Baumgartner (sp). So habe «auch der Staat Bern, das alte wie anfänglich auch das neue Bern, Arme und Unliebsame nach den USA exportiert». Stimmt, befand Daniel Lerch (cvp): «Auch Juden, Täufer, Opfer der Reisläuferei erlitten ja Verfolgung und Unrecht, und das könnte man auch untersuchen. Die Stadt hat eine grosse Bürde. Unrecht gab es immer.» Zudem: Die Sklaverei, so Conradin Conzetti (gfl) seinerseits, liege über 200 Jahre zurück. Mindestens so relevant wäre heute doch etwa eine Aufarbeitung «unserer Südafrika-Beteiligungen oder unserer Haltung zu den Sans-papiers», so der Grünliberale weiter. Womit man bei der Gegenwartsbewältigung angelangt war.

Sensible Seelen, stramme Geister

Sozialdemokrat Baumgartner sah dies auch so: «Vielleicht grad so dringend nötig wären Recherchen zu Formen moderner Sklaverei.» Genau, fand wiederum Christdemokrat Lerch: «Fragen wir uns besser, was für Unrecht heute läuft. Ich denke etwa an Klub-Tänzerinnen aus Osteuropa. Oder auch an die Schlepperei, an welcher unsere Wirtschaft ja auch nicht ganz uninteressiert ist.» Und überhaupt: «In der Dritten Welt wird gehungert während sie uns mit Nahrungsmitteln beliefert. Brauchen wir doch unsere Kräfte gescheiter, um unsere Schuld zu kennen», sagte Lerch. Da platzte Rechtsaussen Dieter Beyeler (sd) doch schier der Kragen ob so viel linker und netter Gutmenschentümelei. «Wir Schweizer sollen ständig die Vorreiterrolle im Asche-aufs-Haupt-Streuen spielen», da mache er nicht mehr mit, sagte der Schweizer Demokrat. Er schlug dann aber selber auch noch ein Unrecht zur Aufarbeitung vor: die Vertreibung Deutschstämmiger nach 1945. «Setzt euch doch für die 12 Millionen Vertriebenen aus Schlesien ein; das sind klare Facts!»

Nicht à la Bergier, à la Arber reicht

Er wolle ja gar keine Grossübung «à la Bergier-Kommission», sagte Erik Mozsa, eine städtisch initiierte Uni-Ausschreibung sei genug. Res Zysset (sp) unterstützte dies, erinnerte an den SP-Vorstoss von 1998 für Bern-spezifische Aufarbeitung der Hitlerzeit 1933 1945, was dann 2002 eine «sehr interessante Lizenziatsarbeit» (von Catherine Arber, «Bund»-Mitarbeiterin) ergeben habe. Nun, wenns nur darum gehe, so der Stapi das Stadtarchiv habe Arber ja auch geholfen. Mit 34 zu 27 hiess der Rat Mozsas Vorstoss gut. Zum Ausklang aber sei Christian Wasserfallen (jf) zitiert, der mit bestechend stringenter Logik eines Querdenkers kurzum befand: «Wir würden gescheiter aus Fehlern lernen anstatt sie zu untersuchen.»