Kantonsrat Zürich
Anfrage Peider Filli (AL, Zürich)

Schweizer und Zürcher Beteiligung an Sklaverei und transatlantischem Handel mit Sklavinnen und Sklaven


Im Zusammenhang mit der Diskussion, die an der UNO-Konferenz von Durban (September 2001) über afrikanische Entschädigungsforderungen an die Adresse Europas geführt wurde, wurde in der Schweiz einmal mehr die Überzeugung deutlich, dies alles gehe unser Land nichts an, weil wir mit Sklaverei, Sklavenhandel und Kolonialismus nichts zu tun gehabt hätten (Aussage von Jean-Daniel Vigny, Schweizer Menschenrechtsvertreter bei der UNO). Dabei haben namhafte Historiker (Wallerstein 1980, Wirz 1984, Ki-Zzerbo 1978, Unesco 1979, Thornton 1998, Williams 1944, Fanon 1961, Rodney 1975, Klein 1999) aufgezeigt, dass über die grossen seefahrenden Nationen Spanien, Portugal, England, Frankreich und Holland hinaus der ganze europäische Kontinent durch ein weitreichendes Netz von Handels- und Finanzbeziehungen in den Dreieckshandel Europa Afrika Amerika Europa mit einbezogen war, ja dass der wirtschaftliche Aufschwung Europas vom 16. - 19. Jahrhundert zu einem beträchtlichen Teil auf diesen spezifischen ökonomischen Beziehungen und damit auch auf Sklaverei und transatlantischem Handel mit Sklavinnen und Sklaven beruhte.

Darüber hinaus führt schon ein lediglich kursorisches Studium verschiedener Werke und Aufsätze zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Schweiz im 18. Jahrhundert sowie eine Neulektüre älterer Standardwerke zur Erkenntnis, dass die schweizerische Verflechtung mit Sklaverei und Dreieckshandel weit enger war als bisher bekannt (Lüthy 1959, Peyer 1968, Meyer 1969). So finden sich in praktisch allen relevanten Tätigkeiten des Handels mit Sklavinnen und Sklaven schweizerische Akteure: vom Gründer einer Sklavenhandelsburg vor der Küste Afrikas über den Reeder, Financier, Versicherer und Aktienbesitzer von Sklavenschif-fen bis hin zum Besitzer oder Aufseher von Plantagen, zum Offizier und Soldaten im Kampf gegen revoltierende Sklavinnen und Sklaven und schliesslich zum Kaufmann im Geschäft mit Gütern für den Dreieckshandel (Textilien) und Kolonialwaren (Zucker, Kaffee, Baumwol-le, Indigo).

Auch der Kanton Zürich war in dieses schweizerische und europäische Netz von Finanz- und Handelsbeziehungen einbezogen. Dabei ist vor allem auf Textilexporte nach Westindien sowie die Banken Leu und Rougement, Hottinger & Cie hinzuweisen. Diese Handelsbeziehungen Ende des 18. Jahrhunderts trugen gemäss H.C. Peyer zum Aufstieg Zürichs zum großen Wirtschaftsplatz des 19. Jahrhunderts bei.

Die Zinskommission Leu erwarb Aktien der französischen Compagnie des Indes, einer staat-lich privilegierten Handelsgesellschaft, die unter anderem auch über ein Monopol im westafrikanischen Handel mit Sklaven verfügte und deren Kapital zeitweise zu 30 % in Schweizer Händen lag. Die Bank Leu beteiligte sich ebenfalls an einer Anleihe für die dänische Han-delsgesellschaft, die damit ihre Flotte aufrüstete, um ihre Handelswege zu schützen. Däne-mark war im Sklavenhandel (westafrikanische "Goldküste, Curaçao, Ostindien) sehr aktiv. Beiträge an diese Anleihe kamen auch von den Zürcher Familien Escher und Fries sowie von der Kasse der Fraumünster-Kirche und der französisch-hugenottischen Kirche in Zürich. Die Bank Rougemont, Hottinger & Cie beteiligte sich ausserdem via die französischen "Sklavereihäfen Le Havre, Nantes und Marseilles an Überseehandelsunternehmungen. Es gibt ausserdem Hinweise, dass Heinrich Escher (1776-1853, Vater von Alfred Escher und "Erbauer des Belvoir) als Kaffeeplantagenbesitzer auf Kuba und Kolonialwarenhändler aus der Sklaverei Profite zog.

Ich ersuche den Regierungsrat um die Beantwortung folgender Fragen:

1) Wie bewertet der Regierungsrat die Tatsache, dass Teile der schweizerischen Wirtschaft und Gesellschaft und auch der Kanton Zürich vor allem in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts viel enger mit der Sklaverei in der Neuen Welt und dem dazugehörigen transatlantischen Handel mit Sklavinnen und Sklaven verknüpft waren als es der öffentlichen Meinung und der Geschichtsforschung bisher bewusst war?

2) Ist der Regierungsrat bereit, angesichts der Tatsache, dass von afrikanischer Seite aus immer deutlicher der Ruf nach Aufarbeitung und Entschädigung der europäischen (und arabischen) Beteiligung an Sklaverei und Kolonialismus und eigenverantwortlichem Handeln seitens der afrikanischen Zivilgesellschaften ertönt, die oben skizzierte Verknüpfung ders KantonsZürich mit Sklaverei und transatlantischem Handel mit Sklavinnen und Sklaven aufarbeiten zu lassen oder diesbezügliche Bemühungen seitens schweizerischer oder anderer Historikerinnen oder Historiker zu unterstützen?

3) Die Schweiz hat 2001 mit der Schlusserklärung der UNO-Konferenz von Durban folgende Aussage mitunterzeichnet: "Wir bedauern, dass Sklaverei und Sklavenhandel entsetzliche Tragödien der Menschheitsgeschichte waren; nicht nur wegen ihrer abscheulichen Barbarei, sondern auch angesichts ihres Ausmaßes, der Art ihrer Organisation und vor allem der Negierung des Wesens der Opfer. Wir er-kennen ferner an, dass Sklaverei und Sklavenhandel ein Verbrechen gegen die Menschheit sind ... Ist der Regierungstrat bereit, Vorstellungen zu entwickeln, wie sich der Kanton Zürich an einer Wiedergutmachung und einer symbolischen Geste seitens der Schweiz beteiligen könnte, sollte eine Aufarbeitung die These von der weit reichenden schweizerischen Mitbeteiligung bestätigen?