Nationalrat, Interpellation Josef Lang (Grüne Fraktion, Sozialistisch-Grüne Alternative, SGA, Zug) vom 21. März 2006: "Die Schweiz und die Sklaverei"

Eingereichter Text

Seit 2005 liegen drei Werke vor, welche erlauben, eine erste Bilanz über Schweizer Beziehungen zur transatlantischen Sklaverei zu ziehen: Stettler et al., Baumwolle, Sklaven und Kredite: die Basler Welthandelsfirma Christoph Burckhardt & Cie. in revolutionärer Zeit (1789-1815); David et al., La Suisse et l'esclavage des noirs sowie Fässler, Reise in Schwarz-Weiss. Schweizer Ortstermine mit der Sklaverei. Diese Publikationen machen deutlich, dass die schweizerische Beteiligung grösser gewesen ist als angenommen. Ich stelle deshalb dem Bundesrat die folgenden Fragen:

1. Ist er angesichts des Ausmasses der schweizerischen Beteiligung an der Sklaverei bereit, daraus bezüglich Aufarbeitung und Wiedergutmachung Schlüsse zu ziehen, die über die Antwort auf die Interpellation Hollenstein vom 16. Juni 2003 hinausgehen?

2. Inwiefern hat die Schweiz in der Uno-Menschenrechtskommission ihre vermittelnde Rolle zwischen afrikanischen Staaten und ehemaligen Kolonialmächten bisher wahrgenommen?

3. Ist die Schweiz bereit, im Uno-Menschenrechtsrat, dessen Arbeitsgruppen oder in einem anderen geeigneten Uno-Gremium eine Initiative zu ergreifen, welche die Aufarbeitung der kolonialen und der Sklavereivergangenheit Europas in Zusammenarbeit mit den Nachfahren der Opfer anstrebt?

4. Ist die Schweiz bereit, sich gegenüber Frankreich dafür einzusetzen, dass Verhandlungen über die berechtigte Forderung Haitis nach Restitution der 90 Millionen Goldfrancs, welche der Sklavenkolonie nach ihrer Unabhängigkeit 1825 abgepresst wurden, aufgenommen werden?


Begründung

Im 17.-19. Jahrhundert haben sich eidgenössische Kaufleute, Militärs und Wissenschafter an allen sklavereirelevanten Aktivitäten beteiligt: Finanzanlagen in Kolonialgesellschaften, Beteiligungen an Dreieckshandelsexpeditionen, Handel mit Sklavereiprodukten, Sklavenhandel, Sklavenbesitz sowie militärische und ideologische Absicherung der Sklaverei. Schätzungen weisen darauf hin, dass mit Schweizer Beteiligung über 100 000 Sklavinnen und Sklaven verschleppt und auf Plantagen ausgebeutet wurden. Damit lag der schweizerische Anteil an der Sklaverei, auf Grösse und Bevölkerungszahl umgerechnet, durchaus im europäischen Durchschnitt. Zudem machen die drei Publikationen deutlich, dass es nicht nur Private waren, welche sich an der Sklaverei beteiligten, sondern in Einzelfällen (BE, SO, ZH) auch staatliche oder halbstaatliche Körperschaften.


Antwort des Bundesrates vom 31. Mai 2006

Ad 1:
In der Antwort zur Interpellation Hollenstein vom 16. Juni 2003 zur Frage der Schweizer Beteiligung an Sklaverei und transatlantischem Handel mit Sklavinnen und Sklaven hat der Bundesrat seine grundsätzliche Haltung zu dieser Thematik dargelegt.
Der Bundesrat bedauert zutiefst die Beteiligung schweizerischer Bürger, Unternehmen und Organisationen am Sklavenhandel. Er ist der Überzeugung, dass die Ära der Sklaverei im internationalen Rahmen sowohl politisch als auch wissenschaftlich beleuchtet werden muss und stellt für die wissenschaftliche Aufarbeitung die nötigen Instrumente der Wissenschafts- und Forschungsförderung zur Verfügung.

Ad 2:
Die Schweiz hat die Erklärung und das Aktionsprogramm der Weltkonferenz gegen Rassismus in Durban mitgestaltet, die unter anderem zum Ausdruck bringen, dass das in der Zeit des Kolonialismus und der Sklaverei begangene Unrecht kritisch aufgearbeitet werden muss. Sie ist heute nach wie vor bereit, eine vermittelnde Rolle zwischen afrikanischen Staaten und ehemaligen Kolonialmächten einzunehmen.
Die Schweiz wirkte in zwei Arbeitsgruppen im Rahmen der UNO-Menschenrechtskommission mit, um der Weltkonferenz gegen Rassismus von Durban politisch Folge zu leisten. Die Arbeiten in beiden Gruppen haben allerdings bis heute gezeigt, dass Sklaverei für Drittweltländer kein Schwerpunktthema ist. Der Fokus liegt vielmehr auf der Bekämpfung aktueller Diskriminierungen.

Ad 3:
Die Schweiz bemüht sich, im Rahmen des UNO-Menschenrechtrates, seiner zukünftigen Arbeitsgruppen und Unterorgane, dieselbe Philosophie weiterzuentwickeln, welche sie anlässlich der letzten Sessionen der UNO-Menschenrechtskommission verfolgt hat: weniger Konfrontation und mehr Dialog. Dieser Ansatz dürfte durch die Tatsache unterstützt werden, dass die Gründung des Menschenrechtsrates einen Neubeginn bedeutet. Die Schweiz wird sich dafür einsetzen, dass sich dieser Ansatz auch bei Fragen, welche die Sklaverei betreffen, durchsetzen wird.

Ad 4:
Die Schweiz unterhält sowohl mit Frankreich wie auch mit Haiti gute bilaterale Beziehungen. Die Frage nach Restitution der 90 Millionen Goldfrancs, welche Haiti von Frankreich einfordert, ist eine bilaterale Angelegenheit zwischen Frankreich und Haiti.