Postulat "St. Galler Beteiligung an Sklaverei und transatlantischem Handel mit Sklavinnen und Sklaven"

Mündliche Begründung von Beatrice Heilig Kirtz:

Dieses Postulat ist sicher nicht eines, das man sich für ein Gemeindeparlament vorstellt oder gar wünscht. Es fordert heraus, uns mit einem Teil unserer Geschichte auseinanderzusetzen, der lange im Dunkeln lag und der auch heute nur zögernd betrachtet werden will. Ich bitte Sie, sich dieser Auseinandersetzung, soweit dies im gegebenen Rahmen möglich ist, zu stellen.
Es gibt verschiedene gute Gründe dafür:

In dem Masse, in dem die Welt näher zusammenrückt – der Ausdruck globales Dorf ist gängig geworden ,- scheint es evident, dass die Beziehungen der verschiedenen Gesellschaften angesehen werden. Dazu sind wir aufgefordert. Einerseits durch die Menschen verschiedener Herkunft, die bei uns leben, aber auch durch Erkenntnisse der neueren Forschung der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Schweiz. Dort, wo es Ungleichheiten gegeben hat und noch gibt, scheint es nur angemessen, dass eine gewisse Art von Genugtuung stattfindet. Sklaverei und Sklavenhandel sind eine besonders verrohende Art dieser Ungleichheiten.

Sklave, Sklavin sein bedeutet eine Verweigerung der Handlungsfreiheit, der Wahlfreiheit, eine Auslöschung einer eigenen Identität. Wir wissen heute, dass über Jahrhunderte über 10 Mio. Millionen Menschen aus Afrika unter brutalsten Umständen über den Atlantik transportiert wurden. Der Sklavenhandel verursachte in weiten Teilen des afrikanischen Kontinents einen Bruch der organischen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systeme. Zudem hat er unauslöschliche Spuren im kollektiven Bewusstsein der Völker hinterlassen.

Wir und unsere Vorfahren haben damit zu tun. Im so genannten Dreieckshandel haben die damals schweizerische Kaufleute und Handelsbankiers mit ihrem gut entwickelten europäischen Beziehungsnetz eine bedeutende Rolle gespielt. Der Dreieckshandel funktionierte so, dass Güter wie Feuerwaffen, Alkohol und verschiedenste Fabrikate nach Westafrika verschifft wurden. Dort wurden unter teilweise grauenhaften Umständen schwarze Sklaven und Sklavinnen eingeschifft und in die Karibik transportiert. Mit Kolonialwaren (Baumwolle, Zucker etc) gefüllt kamen die Schiffe dann wieder nach Europa.

Namhafte Schweizer Banken und und Handelsfirmen waren in diese Transporte involviert und profitierten davon. Die Verbindungen führten nebst Basel und Bern vor allem zu zwei Städten, Genf und St. Gallen. Einige Mitglieder angesehener

St. Galler Familien wie Högger, Rietmann, Schlumpf und Züblin besassen gar Plantagen samt dazugehörigen Sklavinnen und Sklaven. Weitere Kauf- und Handelsleute und deren Familien, oder Teile davon, haben durch ihre mehr oder weniger direkte Beteiligung am Dreieckshandel Profite aus dem Sklavenhandel gezogen. Es sind dies unter anderen Mitglieder der Familien Högger, Kunkler und Zollikofer.

Das sind Fakten, die wahrzunehmen sind. Es ist heute unsere Aufgabe, uns mit diesen dunklen Seiten der Stadt St. Galler Geschichte auseinanderzusetzen und Stellung zu beziehen. Ich denke, dass dies die Pflicht unserer Generation ist. Nur wenn wir dazu stehen und uns allenfalls entschuldigen, können wir die Zukunft in diesem &Mac226;globalen Dorf’ gemeinsam gestalten.

Auch für eine Geste der Wiedergutmachung gibt es gute Gründe:

Der afrikanische Kontinent konnte sich durch die durch die Sklaverei verursachten Schäden nicht organisch entwickeln. Solange diese Tatsache nicht anerkannt wird, bleibt die Geschichte der Menschheit unvollständig. Wiedergutmachung und das Eingeständnis der Schuld ist eine moralische Pflicht. Sie bedeutet auch ein starkes Hemmnis gegen Wiederholung.
Sie kann uns zu einer veränderten Einstellung gegenüber Menschen in und aus dem afrikanischen Kontinent führen.

Wenn Sie eine symbolische Geste der Wiedergutmachung als unnötig und absurd betrachten, erinnere ich Sie an den jahrelangen Kulturgüterstreit zwischen Zürich und St. Gallen. Ich denke, dass Sie die Forderungen der St. Galler Regierung in Ordnung finden. Da wird in der Anklageschrift an das Bundesgericht von schwerem Unrecht geschrieben, das im 18. Jahrhundert von den Zürchern begangen wurde, und das wieder gutgemacht werden soll. Es scheint, dass für die St. Gallische Identität die rechtmässige Rückgabe gestohlener Güter von Bedeutung ist. Wie bedeutungsvoll kann es sein, wenn ein geschundener, ausgebeuteter Kontinent, oder Teile davon Gesten der Wiedergutmachung seitens Europas, und in unserem Fall seitens unserer Stadt erlebt.

Ich bitte Sie, im Sinne einer Offenheit und Bereitschaft zur Auseinandersetzung dieses Postulat zu überweisen.

Notizen für die Replik:

Die Schweiz hat das an die UNO-Konferenz von Durban 2001 verabschiedete Schlusserklärung unterzeichnet &Mac226;Wir bedauern, dass Sklaverei und Sklavenhandel entsetzliche Tragödien der Menschheitsgeschichte waren; nicht nur wegen ihrer abscheulichen Barbarei, sondern auch angesichts ihres Ausmasses, der Art ihrer Organisation und vor allem der Negierung des Wesens der Opfer. Wir erkennen ferner an, dass Sklaverei und Sklavenhandel ein Verbrechen gegen die Menschheit sind....’

Diese Unterzeichnung wird glaubwürdig, wenn Taten folgen.

In 16 schweizerischen Gemeinwesen sind ähnliche Vorstösse eingereicht worden. Der Stadtrat kann sich mit andern zusammentun, er kann sich durch eine offene Haltung profilieren und – zusammen mit andern - richtungsweisende Schritte unternehmen.

Gefragt ist eine ausgleichende Gerechtigkeit, das Anerkennen, dass Ungerechtigkeiten passiert sind ist der erste Schritt dazu.

Verantwortung übernehmen heisst Antwort geben, dazu stehen, die Tatsachen als Teil der Geschichte anerkennen.

Es geht nicht darum, Vorfahren oder ihre Nachkommen zu verurteilen. Dies steht uns nicht zu. Sie waren Kinder Ihrer Zeit.

Aber für ihre Taten können wir uns verantworten und entschuldigen.

Es geht auch nicht in erster Linie um Geld. Eine symbolische Geste kann verschiedenes bedeuten:
- die Rückgabe einer afrikanischen Figur
- oder das Anbringen eines kleinen Schildes in der Afrika-Sammlung des Museums, das auf den Sklavenhandel, oder auf die Mitbeteiligung daran, hinweist.