Postulat Beatrice Heilig Kirtz: "St.Galler Beteiligung an Sklaverei und transatlantischem Handel mit Sklavinnen und Sklaven"

Der Stadtrat zur Frage der Erheblicherklärung:

Am 25. Februar 2003 reichten Beatrice Heilig Kirtz und 18 Mitunterzeichnende ein Postulat betreffend "St.Galler Beteiligung an Sklaverei und transatlantischem Handel mit Sklavinnen und Sklaven" ein.

Der Stadtrat nimmt zur Frage der Erheblicherklärung wie folgt Stellung:

Die Fragestellung, ob St.Galler Kaufleute in irgendeiner Form am Sklavenhandel betei-ligt gewesen seien, ist aus historischer Sicht aus den folgenden Überlegungen heraus durchaus von Interesse.

Der Stadtarchivar ist dieser Frage denn auch nachgegangen und führt dazu aus:

St.Galler Kaufmannsfamilien wurden insbesondere seit dem 15. Jahrhundert im Lein-wandhandel reich. Sie betrieben ihre Geschäfte in ganz Europa, wobei sich ihre Tätig-keit im Verlaufe der Zeit immer stärker, wenn auch keineswegs ausschliesslich, auf Frankreich konzentrierte. Wegen der grossen Bedeutung des St.Galler Leinwandge-werbes innerhalb der Wirtschaft der damaligen Eidgenossenschaft gehörten diese "Leinwandherren" oft zu den vermögenden und einflussreichen Schweizern im Aus-land. Sie brachten der Stat St.Gallen Beschäftigung und Wohlstand. Ihr Handel folgte keineswegs nur dem einfachen Muster von "Export von Leinwand gegen Import von Gütern wie Gewürzen u. dgl.". Der damalige Zahlungsverkehr, der stark auf Wechseln beruhte, nötigte die Kaufleute geradezu zur Abwicklung von Bankgeschäften. Die Kaufleute entwickelten sich im 17./18. Jahrhundert zu sogenannten "marchands-banquiers", handelten also nicht nur mit traditionellen Kaufmannswaren, sondern be-trieben zunehmend auch Geldgeschäfte. Dabei handelt es sich um eine allgemeine, nicht auf die St.Galler beschränkte Entwicklung.

Diese "marchands-banquiers" betrieben teilweise höchst lukrative, oft auch spekula-tive Geschäfte. Finanztransaktionen gigantischen Ausmasses tätigte beispielsweise die St.Galler Firma Frères Hogguer & Cie., die im frühen 18. Jahrhundert für einige Jahre zu den bedeutendsten Financiers des französischen Hofes gehörten. Andere Familienmitglieder waren auf dem Finanzplatz Amsterdam aktiv.

Für die wachsenden Vermögen wurden Anlagemöglichkeiten gesucht, die sich auch im Umfeld des Sklavenhandels fanden. In der Literatur sind Beispiele von Schweizer Kaufleuten genannt, welche etwa in die kostspielige Ausrüstung von Sklavenschiffen investierten. Derartige direkte Beteiligungen von St.Galler Firmen am Sklavenhandel sind dem Stadtarchivar bisher nicht bekannt; sie liegen angesichts der Stellung der St.Galler Kaufleute aber durchaus im Bereich des Denkbaren.

Wichtigste Literatur zum Thema ist das Werk von Lüthy, Herbert: La Banque Prote-stante en France de la Révocation de l’Edit de Nantes à la Révolution, 2 Bände, Paris 1959 - 1961,
2 Bände Lüthy, Band 2, S. 125, auch Anm. 87). Mit starkem Bezug auf Lüthy er-schien überdies der Aufsatz: Moser-Léchot, Daniel V.: "Schweizer Banken und der "Black Holocaust", in: SLZ Die Zeitschrift für Schweizer Lehrerinnen und Lehrer, Nr. 11, 1997, S. 14 - 16.

Bekannt ist nach Lüthy Besitz einer Plantage in Berbice (Guyana) "avec tous les fonds, fruits, esclaves, meubles, ustensiles, bestiaux etc.", die im gemeinsamen Be-sitz der St.Galler Familien Högger, Rietmann und Schlumpf war.

Zur Frage der Erheblicherklärung des Postulates äussert sich der Stadtrat wie folgt:

Eine gründliche Untersuchung über eine allfällige St.Galler Beteiligung an Sklaverei und transatlantischem Handel mit Sklavinnen und Sklaven wäre wohl am sinnvollsten, wenn sie in einem gesamtschweizerischen Zusammenhang erfolgte. Vermutlich müssten die Quellen zum Thema vor allem in Frankreich, Holland usw. gesucht wer-den, sei es in den jeweiligen National- und Departementalarchiven, vielleicht auch in den Archiven der Compagnie des Indes und anderer Organisationen.

Falls eine derartige umfangreiche Recherche zustande kommen sollte, wäre eine ide-elle und finanzielle Beteiligung der Stadt St.Gallen angesichts des möglichen Erkennt-nisgewinns denkbar.

Was die Frage einer Wiedergutmachung betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass die von der Postulantin erwähnte Erklärung der UNO-Weltkonferenz gegen Rassismus aus dem Jahr 2001 in Durban (Südafrika) zwar zu Recht festhält, dass Sklaverei und Sklavenhandel entsetzliche Tragödien der Menschheitsgeschichte und Verbrechen gegen die Menschlichkeit waren und sind. Die Erklärung von Durban beinhaltet allerdings keinerlei Ansprüche auf Wiedergutmachung und Entschädigungszahlungen.

Der Stadtrat empfiehlt, keine eigene historische Untersuchung in Auftrag zu geben, wäre aber bereit, eine angemessene Beteiligung der Stadt an einer Untersuchung in einem gesamtschweizerischen Zusammenhang ernsthaft zu prüfen. Eine finanzielle Wiedergutmachung des in früheren Jahrhunderten zugefügten unermesslichen Leids erachtet der Stadtrat hingegen nicht als zielführend. Er erachtet es als wichtiger, zur Lösung der heutigen Probleme beizutragen und die heutigen Ungerechtigkeiten abzubauen. Dazu gehören ganz allgemein die Zielsetzungen einer sozialen und nachhaltigen Politik. Auf internationaler Ebene kann sich eine Stadt kaum direkt betätigen, aber es darf immerhin auf die Beiträge in der Entwicklungszusammenarbeit und bei aktuellen Katastrophen hingewiesen werden. Ausserdem können auch die Anstrengungen im Integrationsbereich als Beitrag zu einem besseren Zusammenleben der Völker und Kulturen verstanden werden.

In diesem Sinne beantragt der Stadtrat, das Postulat nicht erheblich zu erklären.