Kapitulationsbruch: Teilnahme eines Bataillons
der 3. Halbbrigade an einer Expedition gegen San Domingo

Am 29. Dezember 1802 benachrichtigte der Kommandant der 3. Halbbrigade den Sekretär des helvetischen Kriegsdepartements, er habe soeben mit Gewissheit erfahren, dass eines seiner Bataillone nach San Domingo eingeschifft werden solle. Derr Oberst erklärte, in einer peinlichen Lage zu sein, da er nicht imstande sei, gegen diese Verwendung von Schweizertruppen auf dem Meere zu protestieren, weil dieser Fall in der Uebereinkunft vom 30. November 1798 nicht ausdrücklich vorgesehen worden sei. Gleichzeitig teilte er seinen Entschluss mit, alles zu tun, um den Transport des Bataillons zu verhindern. Um eine rechtliche Baisis für die Schritte, die er unternehmen wollte, zu haben, gedachte er sich auf den 14.Vertragsartikel zu stützen. Danach durften keine helvetischen Einheiten in französische Truppenkörper eingeteilt werden. Weil man nun annehmen konnte, daß die Schweizer in der bevorstehenden Expedition einem französischen Korps zugeteilt würden, was später auch stattfand, so hatte der Brigadechef wenigstens einen Anhaltspunkt für den Protest, den er einzureichen beabsichtigte. Er erbat aber Verhaltungsmaßregeln von seiner Regierung, da er annehmen durfte, diese werde in Paris diesbezügliche Vorstellungen machen.

Im Heimatlande lagen zu Ende des Jahres 1802 die Verhältnisse aber so, daß von einem Proteste beim ersten Konsul in einer solchen Angelegenheit keine Rede sein konnte. Soeben war ja eine französische Armee erschienen; die helvetische Regierung ging ihrer Auflösung entgegen, und alle einflußreichen Männer des Landes befanden sich in Paris. Die Halbbrigade wurde vollständig im Stiche gelassen, und man überließ es dem Brigadechef und den Offizieren des Verwaltungsrates, sich für ihre Mannschaften zu wehren, was sie auch mit aller Energie, leider aber ohne Erfolg, unternahmen.

In der zweiten Hälfte des Monates Januar 1803 sandte der Verwaltungsrat der Halbbrigade dem in Korsika kommandierenden General Morand ein Schreiben, in welchem der schärfste Protest gegen die bevorstehende Verwendung von Schweizern auf dem Meere erhoben wurde. Der Verwaltungsrat hatte sich eine Abschrift der Offensiv- und Defensivallianz vom 19. August 1798 verschaffen können und war nun in der Lage, die darin enthaltenen Bestimmungen für den vorliegenden Fall zu verwerten. Der Verwaltungsrat stellte fest, daß Frankreich immer im besten Einvernehmen zu der Eidgenossenschaft gestanden sei und die während der Revolution gestörten Beziehungen mit dem Abschluß von zwei Verträgen im Jahre 1798 wieder aufgenommen habe. Durch die Allianz vom 19. August 1798 hätten sich beide Länder gegenseitige militärische Hilfe zugesichert. In Artikel II sei jedoch ausdrücklich bestimmt worden, daß die Wirkung der militärischen Aufforderung von seiten der französischen Republik nie sein könne, Schweizertruppen übers Meer zu senden. Im zweiten Vertrage, die Übereinkunft vom 30. November 1798, demzufolge die helvetischen Halbbrigaden in französischen Sold genommen worden seien, stipuliere der erste Artikel, daß die Hilfstruppen nach den in Artikel II der Offensiv- und Defensivallianz festgesetzten Abmachungen angeworben würden. Die Tatsache, daß die Einschiffung von Schweizertruppen nach den Antillen gegen die von Frankreich und der helvetischen Republik geschlossenen Verträge sei, zwinge den Verwaltungsrat, gegen die Verfügung des französischen Kriegsministers zu protestieren. Der Einschiffungsbefehl für die Schweizer müsse irrtümlicherweise aus allgemeinen Verfügungen für die Expedition abgeleitet worden sein. Die Offiziere der 3. Halbbrigade seien es ihrer Regierung, ja sogar dem ersten Konsul schuldig, diesen Kapitulationsbruch nicht zuzulassen. In allen Kapitulationen, durch welche die helvetische Regierung fremden Mächten Truppen zugestanden habe, sei immer ausdrücklich festgestellt worden, daß die Schweizer nicht auf dem Meere verwendet werden durften. Jetzt weniger denn je habe man das Recht, gegen die Gesetze des Vaterlandes zu handeln. dessen Unabhängigkeit im Frieden von Lunéville von den Mächten garantiert worden sei. Die 3. helvetische Halbbrigade werde ihre Pflicht jederzeit mit der größten Bereitwilligkeit erfüllen, sofern man sie nicht zwinge, Europa zu verlassen. Aber um einen Kapitulationsbruch zu vermeiden, ersuche der Verwaltungsrat den kommandierenden General, den Einschiffungsbefehl rückgängig zu machen oder zum mindesten solange zu suspendieren, bis die von der helvetischen Regierung verlangten Verhaltungsmaßregeln eingetroffen sein würden.

Dieser Protest blieb wirkungslos, da ihm kein diplomatischer Schritt der helvetischen Regierung in Paris folgte. General Morand handelte schließlich nur nach den Befehlen, die er vom Kriegsministeriurn erhielt. Er konnte nichts anderes tun, als dies in einem Antwortschreiben an den Verwaltungsrat der 3. Halbbrigade feststellen, indem er erklärte, er habe den Befehl, das Bataillon auf einem in der Bucht von Ajaccio vor Anker liegenden Kriegsschiffe einzuschiffen, dessen Bestimmungsort ihm unbekannt sei. Die Truppen würden am 4. Februar an Bord genommen; er kenne die Treue der Schweizer zu gut, und er wisse, daß sie sich dem Befehle nicht widersetzen würden. Nun hätte bloß noch ein Gegenbefehl des Kriegsministers die Abfahrt verhindern können; und dieser Gegenbefehl wäre nur durch energische Vorstellungen einer kräftigen Regierung zu erwirken gewesen.

Am 4. Februar 1803, nachmittags um 5 Uhr, wurde das 1. Bataillon der 3. helvetischen Halbbrigade an Bord des französischen Kriegsschiffes "Le Redoutable" genommen. Es darf lobend erwähnt werden, daß kein einziger Mann beim Einschiffungsappell fehlte, trotzdem das Bataillon nicht nur den rückständigen Sold, sondern auch noch drei Monate zum voraus erhalten hatte. Oberst Ragettli wollte als Bataillonskommandant und, als ihm dieses verweigert wurde, als einfacher Grenadier das Los seiner Soldaten teilen. Aber auch daran verhinderte man ihn. So war das Schicksal dieser Schweizer besiegelt. Der Kommandant des eingeschifften Bataillons, Abyberg, befand sich eben auf Urlaub in der Schweiz. Daher übernahm der dienstälteste Hauptmann, Wipf, das Kommando. Außer Hauptmann Wipf schifften sich noch folgende Schweizeroffiziere nach San Domingo ein:

Adjudant-Major Joseph Ignatius Müller
Hauptleute Franz Georg Rüttimann
Thomas François Bianchi
Nazar Abyberg
Arnold Egger
Karl Daniel Langhans
Charles Joseph de Flue
Max Gachet
Ulrich Michel
Leutnants Jean François Jaquier
Jean Pierre Gabez
Hans Baptist Gächter
Hans Zipfer
Georg Kauffmann
Henri Louis Vuillemin
Albert de Flue
Hans Heinrich Imthurn
Benoit Bruni
Unterleutnants François Clous
Joseph Antoine Fidèle Longhy
Christian Heinrich Schmid
Philippe Sandoz
Joseph Theilung
Heinrich Wydler
Leonhard Tremp
Frédéric Rutz
Angelin Weber


[aus: Fernando Bernoulli, Die helvetischen Halbbrigaden im Dienste Frankreichs 1798-1805, Frauenfeld 1934, Seite 93-96]